Die Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« verwandelt das Georg-Kolbe-Museum in ein Lapidarium
Die Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« verwandelt das Georg-Kolbe-Museum in ein Lapidarium

Die Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« verwandelt das Georg-Kolbe-Museum in ein Lapidarium

Inmitten der makellosen weiblichen und männlichen Bronzeakte von Georg Kolbe, die auf dem Hof seines ehemaligen Ateliers stehen, ragt ein fremdartiges Gebilde empor, das aussieht, als könnte es jederzeit umkippen: Es sind sechs aufgetürmte Absperrgitter, die wie verbogene überdimensionale weiße Lampenschirmgerüste aussehen. In der Nacht strömt aus ihnen helles Neonlicht, so dass sich ihre weißen Konturen aufzulösen und in eine Lichtsäule zu verwandeln scheinen.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Dieses »Double Monument for Flavin and Tatlin«, 2010 von Bettina Pousttchi geschaffen, ist exemplarisch für die Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« die im und vor dem Georg-Kolbe-Museum gezeigt wird. Es ist ohne Zweifel eine abstrakte, dreidimensionale Form, die skulpturale Merkmale hat. Obwohl sie durch die aufgebrochene Oberfläche leicht und luftig und spielerisch wirken müsste, ist sie recht unbeholfen und sperrig: Das benutzte Material ermöglicht einfach keine Raffinessen. Der Titel des »Doppelten Monuments« bezieht sich auf zwei Größen der Nachkriegs- und Zwischenkriegsmoderne, und zwar in dieser umgekehrten Reihenfolge: zuerst auf den US-Amerikaner Dan Flavin (1933-1996), Vertreter der Minimal Art, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Lichtkünstler internationalen Ruhm erreichte. Dann auf den russischen Avantgardisten Tatlin (1885-1953), Begründer der Maschinenkunst, der mit seinem nie realisierten, 400 m hohen und in der Nacht leuchtenden Turm, dem »Monument der Dritten Internationale« (1917), ein Vorläufer der Architekturskulptur ist. Bettina Pousttchis »Double Monument« ist ein Versuch, sich in die Reihe der großen Kunstrevolutionäre des 20. Jahrhunderts zu stellen und ihre Errungenschaften in die Gegenwart zu überführen. Das Ergebnis ist fraglich. Erstens, weil sie das nicht brauchen, denn ihre Werke und Ideen sind noch immer frisch, dynamisch und aktuell. Zweitens, weil hinter der Form, die hier und da für Überraschungen sorgen mag, in diesem »Monument« sowie vielen anderen Werken der Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« kein inhaltlicher Ideenreichtum zu erkennen ist.

„Double Monument for Flavin and Tatlin“ von Bettina Pousttchi auf dem Hof des Georg-Kolbe-Museums. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
„Double Monument for Flavin and Tatlin“ von Bettina Pousttchi auf dem Hof des Georg-Kolbe-Museums. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Steinbruch der Moderne

»Etwa 100 Jahre ist es her, dass die Kunst – zumindest in Teilen – ungegenständlich geworden ist. Ein Monopol hatte die Abstraktion seitdem nie, aber es gab Zeiten wesentlicher Marktbeherrschung, auf die dann wieder figürliche Gegenbewegungen folgten«, erklärt Dr. Marc Wellmann, künstlerischer Leiter des Georg-Kolbe-Museums und Kurator der Gruppenschau, in der er 30 abstrakte Skulpturen von 22 ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern versammelt hat. »Seit zehn Jahren beobachten wir eine Renaissance der Abstraktion, eine Art Neomoderne. Eine Generation, die nach 1990 ihre prägende künstlerische Sozialisation erfuhr, fand die Abstraktion als ein weitgehend entideologisiertes Konzept vor, das weder politischen noch ästhetischen Reinheitsgeboten unterlag. Unsere Ausstellung ist die erste, in der versucht wird, diese neue Abstraktion zu behandeln und ihre Aktualität in der Gegenwartskunst zu dokumentieren. Sie zeigt ein großes Spektrum an Möglichkeiten der in den 1960er, 1970er und1980er Jahren Geborenen, die vorwiegend in Berlin leben und sich vor allem „armer“ Materialien bedienen, weil sie nicht so teuer sind. Das ist zwar nichts absolut Neues: Ein Erbe der Minimal Art oder der Arte Povera. Die Moderne ist für diese Generation ein Steinbruch mit unterschiedlichen Lagerstätten, die im Sinne des musikalischen Samplings neu miteinander kombiniert werden können, um sie einer aktuellen Lesart zu unterziehen.«

Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Kühle Hüllen

Auch wenn der Kurator etwas anderes im Sinn hatte, scheint der Vergleich mit einem Steinbruch angemessen: Zum einen, weil die Ausstellung »Abstrakt////Skulptur« das Georg-Kolbe-Museum stellenweise in ein Lapidarium verwandelt. Vor allem die im ersten und zugleich größten Saal stehenden Skulpturen, unabhängig davon, ob sie auf eleganten oder schlichten Sockeln oder direkt auf dem Holzparkett platziert sind, wirken seltsam leblos, sperrig, ja, fast schon antiquiert. Das mag an den armen Materialien liegen, denn aus Holzlatten, Spanplatten oder Gips lassen sich keine sinnesberauschenden Kunstwerke formen. Das, was die an der »Abstrakt////Skulptur«-Schau Beteiligten auszeichnet, ist in den meisten Fällen eine Ästhetik der Oberfläche, die kühle Hüllen bietet. Es scheint, dass der Steinbruch der Moderne inzwischen an vielen Stellen so geplündert ist, dass sich dort keine Steine, schon gar keine Meilensteine der Neomoderne gewinnen lassen. Deshalb fallen in dieser Ausstellung, in der gebrauchte oder verbrauchte Ideen gesampelt oder recycelt werden, jene Plastiken auf, die an nichts anknüpfen, keinen kunsthistorischen Ehrgeiz haben und sich einfach im Raum behaupten wollen. Dazu zählen vor allem die Betonskulpturen von Jeroen Jacobs, die trotz des spröden Materials dynamisch wirken und einen sinnlichen Eindruck vermitteln, ebenso wie die »Rosette« aus Sandstein von Thomas Scheibitz und die verrostete Plastik »Heavy Metals« von Nadja Frank.

Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Prekäre Präsenz

Nicht zu übersehen ist die aus einer dunklen Ecke in den Raum wuchernde Form mit dem originellen Titel »Oxomoeno«. Das wohl größte Werk dieser Schau ist auch eins, das man als neuartig bezeichnen kann. Nicht nur deshalb, weil es aus Hosenbügeln, Kabelbinder und Klebeband, also aus recht sperrigem Material gefertigt wurde. Es sieht aber leicht und luftig, doch zugleich gefährlich aus, denn es scheint den Betrachter verschlingen zu wollen. »Ich suche mir gern Ecken und Nischen, weil ich gern eine prekäre Präsenz haben möchte. Ich mag Unräume, wo keiner hin will, weil ich mich dort richtig fest hacken und ausbreiten kann«, erklärt Gereon Krebber. Der in Köln lebende Künstler fügt hinzu: »Die Ausbreitung ist in der Form selber, während die meisten Oberflächen der anderen hier gezeigten Skulpturen geschlossen und bearbeitet sind: Sie zeigen, dass heute eklektisch gearbeitet, dass die alte Formensprache wieder aufgenommen wird. Und meine Form hat keine Oberfläche.«

Gereon Krebber vor seiner Hosenbügel-Skulptur „Oxomoeno“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Gereon Krebber vor seiner Hosenbügel-Skulptur „Oxomoeno“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Statische Maschinen und Kombisäulen

Im Eingangsbereich, dem Übergang vom großen in den kleinen Saal und im letzteren sind nur wenige Skulpturen zu sehen, so dass man sich auf die einzelnen konzentrieren kann. Was vor allem auffällt, ist der aufwendige Prozess, in dem sie entstehen. Da werden Metallteile von verschrotteten oder auf Flohmärkten gefundenen Haushalts- oder Fitnessgeräten gesammelt und zu schönen, aber statischen Maschinen recycelt, die wie teure Designobjekte aussehen. Und so errichtete Georg Hildebrandt 2010 aus formgepressten Schallplatten eine drei Meter hohe »Kombinationssäule«, sozusagen eine Plastik-Altbauzimmerversion der berühmten, 30 Meter hohen Plastik »Endlose Säule« aus vergoldetem Stahl von Constantin Brâncuşi, die seit 1938 unter freiem Himmel der rumänischen Stadt Târgu Jiu steht. Alicja Kwade ließ in einem Berliner Nobelrestaurant leere Champagnerflaschen sammeln, die nach dem Ende der Aktion genau 555 kg wiegen sollten und in einem sächsischen High-Tech-Betrieb pulverisiert wurden. Aus der großen Menge entstand ein kleiner grüner Hügel, der daran erinnert, dass sich alles früher oder später auf natürliche oder künstliche Weise in Staub verwandelt.

Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung „Abstrakt////Skulptur“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Bronzeakte leben länger

Die seit über einem halben Jahrhundert im Hof und Garten stehenden Bronzeakte von Georg Kolbe (1877-1947), in dessen Ende der 1920er Jahre gebautem Wohn- und Atelierkomplex sich seit 1950 sein Museum befindet, müssen sich solche Sorgen nicht machen. Seinen Skulpturen ist ein langes Leben in diesem schönen Ambiente beschert, es sei denn, jemand kommt auf die Idee, sie einzuschmelzen. Weil das eher unwahrscheinlich ist, kann man, auf der Terrasse des Cafés K, das sich in des Meisters einstigem Haus befindet, den Anblick seiner Tänzerinnen und Kauernden sowie der gut gebauten Jünglinge in aller Ruhe genießen. Auch die beiden gelben und orangenen »Trashstones« von Wilhelm Mundt sehen so aus, als gehörten sie schon immer hierher. Bei vielen anderen abstrakten Außen- und Innenskulpturen gilt: »Geschwiegen ist genug gelobt.«

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 16 / Juli – August / 2011


ABSTRAKT //// SKULPTUR
26.06.- 4.09.2011
Georg-Kolbe-Museum
Sensburger Allee 25
14055 Berlin

Di – So. 10-18 Uhr
Eintritt 5/3 Euro 
Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren


„Trashstones“ von Wilhelm Mundt säumen den Weg zum Georg Kolbes „Tänzerinnenbrunnen“ . Foto © Urszula Usakowska-Wolff
„Trashstones“ von Wilhelm Mundt säumen den Weg zum Georg Kolbes „Tänzerinnenbrunnen“ . Foto © Urszula Usakowska-Wolff