Die Welt vor und hinter dem Spiegel
Die Welt vor und hinter dem Spiegel

Die Welt vor und hinter dem Spiegel

In der Galerie Kai Dikhas, dem »Ort des Sehens« im Aufbau-Haus am Moritzplatz, der einzigen Galerie für die Kunst der Roma und Sinti hierzulande, werden zwei großartige Ausstellungen: »Dark Glass« von Daniel Baker und »Kushti Atchin Tan? – Ein guter Ort?« von Delaine Le Bas aus Großbritannien gezeigt, die einen universellen Charakter haben und die Probleme der Gegenwart auf überzeugende und zum Teil erschütternde Weise thematisieren.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Es ist eine Art Spiegelkabinett, das wir betreten. In den Objekten, die an den Wänden hängen, spiegeln sich die Besucherinnen und Besucher, das Personal und Mobiliar, die Strahler, die Passanten, die Autos, die Bäume und die Häuser von der gegenüberliegenden Straßenseite. Je nach Blickwinkel und Position, aus denen wir das Gezeigte betrachten, sehen wir einen anderen Ausschnitt der Wirklichkeit. Wir werden ein Teil der Exponate, in denen sich die Grenzen zwischen innen und außen auflösen, die sehr lebendig wirken, weil sie alles reflektieren, was um sie herum geschieht, und dadurch jedes Mal anders erscheinen. Doch sie strahlen auch etwas Bedrohliches aus, sodass sich bald die Frage stellt: Wer oder was beobachtet da wen? Wir die Spiegel oder sie uns?

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Konsumenten bringen den Produzenten Glück

Die Ausstellung »Dark Glass« in der Galerie Kai Dikhas im Aufbau-Haus am Moritzplatz versammelt 14 Arbeiten des 1961 in Kent geborenen Künstlers Daniel Baker. Verspiegelte Objekte, bei deren Fertigung er wertvolles Material wie Blattsilber, Blattgold und Emaille verwendet, gehören seit Jahren zu seinen bevorzugten Ausdrucksmitteln. Das hängt zum einen mit seiner Biografie zusammen. Er kam in einer Familie der Romany Travellers zur Welt, die kurz vor seiner Geburt in ein Haus gezogen war, nachdem ihre Wohnwagensiedlung zerstört wurde. Doch die Gewohnheiten aus dem alten Leben blieben auch im neuen bestehen. Dazu gehörte der Kult der Gegenstände, die mit Stanniolpapier und bunten Glasstücken verziert und in Spiegelschränken, profanem Altären, gruppiert wurden. Es waren Amulette, welche wohl die bösen Geister fernhalten und Glück bringen sollten. Zum anderen dient der Spiegel seit eh und je als Metapher der Vergänglichkeit, von der Menschen und Dinge betroffen sind, auch wenn den Dingen häufig eine viel längere Lebensdauer beschert ist. Dass auch die Spiegel in die Jahre kommen und ihre einst glatte und glänzende Haut matt und mit Altersflecken bedeckt wird, ist auf den Objekten von Daniel Baker zu sehen: Das Silber blättert ab, die schwarzen Stellen machen sich immer mehr bemerkbar. Ein bisschen muten die künstlich gealterten »Spiegelbilder« des britischen Künstlers wie Artefakte an, die in anspruchsvollen Pubs oder Whiskybars hängen, nur dass darauf keine Flaschen, sondern überdimensionale Schlüsselanhänger abgebildet sind: Weltkugeln, Babys, Zangen, Pistolen, Kürbisse, Totenköpfe. Das sind Motive der Lucky Charms, der Glücksbringer, mit denen die Romany Travellers handelten. Doch die Bilder mit den banalen Groschenartikeln, die zum Fetisch erhoben werden, sind mehr als eine nostalgisch-ironische Referenz an das Milieu, aus dem der Künstler stammt. Sie sind ein Abbild der Gesellschaft, in der wir leben. Konsum ist ihr oberstes Gebot, unabhängig davon, ob wir billige Massenware oder »gehobene« und teure Produkte konsumieren. Deshalb »verpackt« Daniel Baker seine »Glücksbringer« in Gold und Silber, denn, wie im wahren Leben, sollen wir den Eindruck haben, dass die teure Hülle den trivialen Inhalt wertvoll, kostbar und erstrebenswert macht. Was wir sind, führt seine Materialcollage »Swarm« vor: ein Schwarm von Konsumenten, die wahren Glücksbringer für Produzenten. Neben diesem konsumkritischen Aspekt setzt sich der britische Künstler auch mit einem anderen Phänomen der Gegenwart, mit der allgemeinen Überwachung auseinander. Die zeigt er eher beiläufig und sehr subtil: einen durchsichtigen »Sicherheitsvorhang« und zwei silberne »Überwachungsbälle«. Daniel Bakers »Dunkles Glas« ist zwar silbern, also hell, aber der Ausstellungstitel bezieht sich auch auf die schwarzen Augen der Kameras, welche die Schwärme mehr oder weniger diskret, aber global überwachen, damit sie nicht aus dem Ruder laufen.

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Theatrum mundi im dritten Stock

Während Daniel Baker mit minimalistischen Mitteln auf die Gefahren hinweist, die hinter den glatten Oberflächen lauern, zeigt seine Kollegin Delaine Le Bas eine Welt, in der Gegenstände, Kleider, Stoffe und Abfälle wuchern. Auf den ersten Blick sieht das, was da im dritten Stock des Aufbau-Hauses zur Schau gestellt wird, wie ein Flohmarkt aus, wo Neues und Altes, Kaputtes und Unversehrtes, Massenware und Handwerk angeboten wird: Puppen und anderes Spielzeug, künstliche Blumen, mit Sprüchen bestickte Platz- und Wanddeckchen, Fotos, Spielkarten, Plastikvögel, Schuhe, Fahnen, Fußabtreter, Kissen, Bilder, Tücher. Die Ausstellung der 1965 geborenen Romany Travellerin heißt »Kushi Atchin Tan? – Ein guter Ort?«. Bei genauen Hinschauen merken wir: Das ist ein Ort des Schreckens! Den niedlichen Puppen hat die Künstlerin grinsende Tierköpfe übergestülpt, das Bild der »Schönen Zigeunerin« ist mit Blut befleckt, auf glitzernde und mit Pailletten bestickte Stoffbahnen sind Skelette und Totenköpfe aufgenäht, eine Bretterbude hat Wände aus Plastik. Die Ausstellung, die sich zum einen mit den noch heute weit verbreiteten Vorurteilen und Klischees gegenüber den Roma und Sinti beschäftigt, ist auch ein moderner Totentanz. Sie zeigt eine Welt, die um das Goldene Kalb kreist, die Erde ausbeutet und vermüllt, die Menschen aus dem einen oder anderen Grund: Armut, soziale oder nationale Herkunft, mangelnde Bildung oder Geschlecht an den Rand drängt und sie ständig in Angst hält. Großartig, wie diese Künstlerin die Geschichte und Diskriminierung ihrer Volksgruppe zu einem universellen Thema erhebt und erfahrbar macht. Ein geordnetes Leben ist in dieser Welt nur wenigen gegeben, und zwar jenen, die aufgrund ihrer privilegierten Lage und vermeintlichen Stärke darüber entscheiden, wer dazu gehören darf. Die Mittellosen und Machtlosen müssen sich mit den Abfällen begnügen, mit denen sie von den wohltätigen Wohlhabenden abgespeist werden. Und sie müssen ihr Dasein offensichtlich in Slums fristen. Angst und Unsicherheit, Not und Verzweiflung sind angeblich ihr gottgewolltes Schicksal – und das wird weiter so bleiben, wenn sie sich nicht zusammentun, um dagegen vorzugehen. Das ist die Botschaft, die von dieser überwältigen Schau, einem wahren Theatrum mundi, ausgeht: Lasst euch keine Angst einjagen, bündelt eure Kräfte zusammen, denn nur so werdet ihr die Mächtigen das Fürchten lernen und euer Leben verändern. Aus Armen, Ausgegrenzten, Flüchtlingen und Zwangsnomanden besteht bekanntlich ein Großteil der heutigen Menschheit. Wenn sich dieser Schwarm in Bewegung setzt, kann ihn keine Überwachungskamera aufhalten.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Erschienen im strassen|feger 9/2015


Daniel Baker
Dark Glass
Noch bis zum 6. Juni 2015

Delaine Le Bas
Kushti Atchin Tan? – Ein guter Ort?
noch bis zum 16. Mai

Galerie Kai Dikhas
Aufbau Haus am Moritzplatz
Prinzenstraße 84.2
10969 Berlin

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Samstag von 12 – 18 Uhr
kaidikhas.com/de