Käthe Kruse: »Ich langweile mich nie, denn mich beschäftigt immer die Welt«
Käthe Kruse: »Ich langweile mich nie, denn mich beschäftigt immer die Welt«

Käthe Kruse: »Ich langweile mich nie, denn mich beschäftigt immer die Welt«

Käthe Kruse, am 10. September 1958 geboren, ist eine faszinierende und charismatische Persönlichkeit, deren Leben genügend Stoff für einen Roman bietet. Sie war Hausbesetzerin und Mitglied der Künstlergruppe Die Tödliche Doris. Die Künstlerin und Musikerin schafft seit über 20 Jahren raumgreifende und multimediale Installationen, die wie Bühnenbilder wirken. Sie ist seit 1991 mit dem Schweizer Schriftsteller Yves Rosset verheiratet und hat zwei Töchter: Edda (24) und Klara (20), mit denen sie in Performances auftritt. Nan Goldin, mit der sie im besetzten Haus in Kreuzberg wohnte, verewigte Käthe und ihre Töchter auf zahlreichen Fotografien, die sich heute in den wichtigsten internationalen Sammlungen und Museen befinden. Seit knapp zwei Jahren wohnt Käthe Kruse im Taut-Haus am Engeldamm, wo ich sie in ihrem Atelier besuchte.

Interview und Fotos von Urszula Usakowska-Wolff

Käthe, warum hast Du auf Deinen Vornamen Elke verzichtet? Ist Dein jetziger Vorname eine Referenz an die Schauspielerin und Puppenmacherin Käthe Kruse?

Ich kam zwar als Elke auf die Welt, bin aber sofort nach der Entbindung meiner Mutter als Käthe ins Bett gelegt worden. In meinem Jahrgang gab es sehr viele Mädchen mit dem Vornamen Elke, in meiner Schulklasse allein fünf, und alle waren froh, dass sie mich Käthe nennen konnten. Ich habe mir den Vornamen also nicht selber ausgesucht, doch irgendwann ließ ich ihn in meinen Pass eintragen. Mit der Puppenmacherin hat das insofern zu tun, dass wir Kruse hießen, da denkt man automatisch an eine Verbindung mit ihr. Die gibt es aber nicht.

Du bist in der ostwestfälischen Kleinstadt Bünde im Kreis Herford geboren und hast Deine Heimat recht früh verlassen. Warum?

Ich bin in Bünde geboren, wuchs aber im Dorf Kirchlengern auf, wo meine Eltern ein Haus hatten. Mein Vater war Alkoholiker, mal mehr, mal weniger, Quartalssäufer sagt man dazu, und ich war immer sein Fußabtreter, ich bin ziemlich durchgeprügelt, körperlich misshandelt worden von ihm als Kind. Pünktlich zu meinem 18. Geburtstag habe ich mein Elternhaus verlassen und habe in den WGs in der Gegend gewohnt. 1980 bin ich mit gefälschtem internationalem Führerschein als zweite Fahrerin eines Busses mit einer Gruppe über Land nach Indien gefahren. Als wir nach einem Monat Katmandu erreichten, trennte ich mich von der Gruppe und reiste auf eigene Faust durch Indien, Nepal, Sri Lanka und dann über Pakistan zurück nach Ostwestfalen. Ich wollte auch nach Afghanistan fahren, aber das ging leider nicht, denn 1979 sind dort die Russen einmarschiert.

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Ist es wahr, dass Du ausgerechnet in Indien über die Hausbesetzerszene in West-Berlin gelesen hast?

Ja, auch über John Lennons Tod. Das hat mich sehr bewegt und ich bin im Mai 1981 nach Bünde zurückgekommen, in meine alte WG, wo wir zusammen mit Norbert Hähnel und seiner Partnerin Theo wohnten. Norbert war der spätere Inhaber des »Scheißladens« in Kreuzberg.

Norbert Hähnel, der »wahre Heino«, ist auch aus Bünde?

Ja, ich wollte dort aber nicht bleiben und so bin ich mit Norbert und Theo und einer Gruppe von Musikern mit einem Reisebus nach London gefahren, weil ich dachte, dass ich in London leben könnte. Nach kurzer Zeit merkte ich, dass das aber nicht so spannend ist und zog im Juni 1981 in das besetzte Haus in die Manteuffelstraße 41/42 in Kreuzberg ein.

Dein Berliner Leben begann in der Hausbesetzerszene, als Du 22 Jahre alt warst. Hast Du Dir damals Gedanken darüber gemacht, was Du in Zukunft auch sonst machen möchtest? Wolltest Du schon damals Künstlerin werden?

Nein, ich wusste immer nur, was ich nicht wollte, nämlich in der Enge meines Elternhauses bleiben, so etwas schwebte mir nicht für mein ganzes Leben vor, ich wollte immer etwas anderes. Das Kleinbürgertum war mir zutiefst verhasst. Ich war immer offen für etwas Neues und bin es, glaube ich, bis heute. Ich probiere gern Dinge aus, von denen ich nicht so genau weiß, wo sie hinführen werden und wie sie eigentlich gehen. Deshalb war dieses Hausbesetzerleben für mich hochinteressant. Es war komplett illegal, wir haben Strom und Wasser geklaut, angezapft von der Straße, wir haben versucht, über die Post ein Telefon zu bekommen, doch das ging nicht, weil wir in einem besetzten Haus lebten. So stellten wir einen Bauwagen vor die Tür, haben das Telefon für den Bauwagen beantragt und es auch bekommen, wir haben dann ein Kabel über den Bürgersteig ins Haus gelegt. Dass Kreuzberg überhaupt noch so steht, ist das Verdienst der Hausbesetzer. Wir haben die alte Substanz geschützt, sonst sähe alles wie am Kottbusser Tor aus. Das sind eben Dinge, die wir aufgebaut haben in den ersten Jahren.

Im Atelier von Käthe Kruse. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Im Atelier von Käthe Kruse. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Wie lange hast Du in der Manteuffelstraße gewohnt?

33 Jahre. Wir haben dort neue Formen ausprobiert und haben uns schnell entwickelt zu dem Haus, das für alle besetzten Häuser die Materialien gehortet und geliefert hat. Wir haben ökologische Projekte entwickelt mit der TU, nämlich Wasserrecyclinganlagen und ein Blockheizkraftwerk, das grundstücksübergreifend die anderen neun Häuser mit eigener Energie versorgte. Wir haben Verträge mit der BEWAG geschlossen und waren die Ersten in Deutschland, die selbstproduzierte Energie verkaufen durften. Wir haben bereits 1983 eine Genossenschaft gegründet, die 1986 als Luisenstadt eG legalisiert wurde. Das ist schon ein großes Verdient, das wir uns als Hausbesetzer zuzuschreiben haben.

Von der Hausbesetzerszene ging es dann zur alternativen Kunstszene, wo Du zuerst als feuerspuckender schwarzer Engel einen Aufsehen erregenden Auftritt hattest. Wie kam es dazu?

Feuerspucken fand ich schon früher interessant, als wir zusammen mit Norbert Hähnel in Bünde und Umgebung »Umsonst & Draußen« und andere Musikfestivals gemacht haben. Und Heiligabend 1981 hatte Norbert Hähnel im SO 36 ein Weihnachtskonzert veranstaltet. Er hat mich damals aufs Plakat gesetzt und ich habe gesagt: OK, wenn ich schon darauf stehe, muss ich meinem Namen alle Ehre machen. Ich habe mich also als schwarzer Engel verkleidet…

Mit den legendären goldglänzenden schwarzen Flügeln und ganz in Leder…

Genau. Ich hatte ja noch diese schwarzen Dreadlocks und habe Feuer gespuckt. Ich merkte, dass ich das Publikum glücklich gemacht habe. Da habe ich gedacht, dass ich eine gute Ausstrahlung auf der Bühne habe und den Leuten etwas geben kann. Und an diesem Abend sprachen mich Wolfgang Müller und Nicki (Nikolaus Utermöhlen, Anm. d. Red.), die unter den Zuschauern waren, an und fragten, ob ich zusammen mit ihnen im Januar 1982 in einem Konzert im Arsenal auftreten möchte. Es ging nur um dieses eine Konzert. Wir haben uns dann getroffen, und ich sagte, dass ich auch ein bisschen Schlagzeug spielen kann. Ich habe mir dann sofort für 200 Euro ein gebrauchtes Schlagzeug gekauft und habe für diesen Konzertabend das »Naturkatastrophenballett« entwickelt.

Im Atelier von Käthe Kruse. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Im Atelier von Käthe Kruse. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Es sollte ein Konzert sein, doch Du hast bei der von Wolfgang Müller und Nicki Utermöhlen gegründeten Künstlergruppe bis zu ihrer Auflösung 1987 mitgemacht. Was war das Besondere an der Tödlichen Doris? Wodurch zeichnete sich eure Zusammenarbeit aus?

Der Name Die Tödliche Doris war ja schon da, den haben sich Wolfgang und Nicki, die an der Hochschule der Künste studierten, ausgedacht. Doris war damals, wie mir die beiden sagten, der häufigste Frauenname im Berliner Telefonbuch, und ich fand diese Anspielung auf »Dosis« auch ganz toll und sehr einprägsam. Wir haben jeden Tag zusammen gearbeitet, wir haben uns jeden Tag getroffen und jeder brachte Texte mit. Dann haben wir immer zu dritt an diesen Texten rumgefeilt, manchmal haben wir eine Stunde nur an einem Wort gesessen, bis wir es wirklich so hatten, wie wir es wollten.

Soll das heißen, dass die Genialen Dilletanten in Wirklichkeit keine Dilettanten, sondern Profis waren?

Als Musiker waren wir absolute Dilettanten, keiner konnte ein Instrument richtig spielen und singen auch nicht, doch was die Textkultur angeht, war uns der Inhalt der Texte sehr wichtig.

Ist Die Tödliche Doris »schuld« daran, dass Du Künstlerin geworden bist?

Ja, damals habe ich gemerkt, dass ich in der bildenden Kunst meine Schwerpunkte legen kann. Dann habe ich mein Studium an der HdK begonnen, weil ich meinte, dass ich dort noch einige Techniken lernen kann, vor allem Druck und Siebdruck. Ich habe gedacht, auch für die Zukunft ist es gut, ein Studium zu haben, vorher hatte ich dafür keine Zeit, also bewarb ich mich an der HdK, und dachte, entweder sie nehmen mich, dann gucke ich, ob es mir Spaß macht, oder sie nehmen mich nicht, aber Künstlerin bin ich sowieso. Sie haben mich sofort genommen, das fand ich auch toll und ich habe halt ganz viele Techniken gelernt, besonders die Drucktechniken.

Käthe Kruse in ihrem Atelier. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Käthe Kruse in ihrem Atelier. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Du arbeitest schon seit über 20 Jahren als freie Künstlerin, die außerordentlich vielseitig ist. Du fotografierst und filmst, machst raumgreifende und multimediale Installationen, Teppiche, Objekte aus Stoff, aus alltäglichen oder vorgefundenen Materialien, Du schreibst Texte und machst Musik- und Wortperformances. Woher kommt diese Bandbreite?

Ich liebe es, in mehreren Schichten zu arbeiten. Meine Arbeiten sind zugleich auch Projektionsflächen für meine Lieder, zu jedem Song gibt es eine Arbeit und einen Film, es gibt die Musik und das Kostüm, das Kostüm fungiert immer als Leinwand. Ich arbeite an mehreren Projekten gleichzeitig, jetzt fotografiere ich zum Beispiel leere Bänke, weil mich die Abwesenheit von Menschen interessiert, und an einer Serie von Textbildern, für die ich Zeitungsüberschriften sammle. Das wird eine 365-Tage-Arbeit sein, die zeigen wird, wie die Sprache sich verändert. Ich langweile mich nie, denn mich beschäftigt immer die Welt.

Interview & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Erschienen im strassen|feger 18/2015


Info:

www.kaethekrusekunst.de