John Bock: »Kunst muss wehtun, damit sich das Denken ändert«
John Bock: »Kunst muss wehtun, damit sich das Denken ändert«

John Bock: »Kunst muss wehtun, damit sich das Denken ändert«

Ein Gespräch mit John Bock beim Rundgang durch seine Ausstellung »Im Moloch der Wesenspräsenz« in der Berlinischen Galerie am 23. Februar 2017.

Von Urszula Usakowska-Wolff

  • John Bock im Moloch der Wesenspräsenz. Foto © Urszula Usakowska-Wolff, VG Bild+Kunst Bonn, 2017

Raum ist zwar in der kleinsten Hütte, aber in der großen Eingangshalle der Berlinischen Galerie scheint es sogar für deinen »Moloch« zu eng zu sein. Ist das Absicht?

Mir ist nichts zu eng, ich habe jahrelang auf 12 Quadratmetern gelebt. Ich kann auch unter einer Treppe ausstellen und in einem Luftschacht. Ich finde es gut, wenn es beengt ist, denn da ist man noch näher dran. Man darf alles anfassen, nur abbrechen sollte man nichts.

Und was geschieht, wenn man zum Beispiel aus der reich bestückten Installation »Dünnhäutig« eine Feder oder eine Erbse als Ausstellungssouvenir mitgehen lässt? Obwohl diese Dinge für Kunstfans keine große Bedeutung haben dürften, denn einzelne Bestandteile dieses Werks sind ja von dir nicht signiert.

Es kommt nicht darauf an, ob hier hundert oder tausend Erbsen liegen. Es kommt auch nicht darauf an, dass da jemand eine mitnimmt: Ich kann das ja schnell nachbauen. Es geht einfach darum, eine Beziehung zum Rezipienten aufzubauen und auch ihm was zu geben, um die Theorie zu verflüssigen. Es geht um Sprache, um Aktion, um Geschichten erzählen, es geht aber auch darum, wie man selber als Künstler in der Gesellschaft aufgenommen wird und welche Funktion man übernehmen kann.

Was bedeutet das?

Einfach nicht immer daran glauben, was bestimmte Leute, auch Politiker oder Wissenschaftler sagen! Wenn wir uns nur auf Definitionen verlassen, sind wir eingekerkert. Das Feste bringt uns nicht weiter. Es muss Bewegung rein, sonst wird alles erstarren. Es geht darum, das Denken in ein Liquiddenken zu verändern, und zwar so, dass man durch Sprache, durch das Objekt, durch Handlung, durch Musik den Rezipienten derart in den Bann zieht, dass er gar nicht die Frage der Qualität aufwirft, also wie das gemacht oder ob das signiert ist: Da sollte die Kunst darüber hinaus gehen. Es geht auch nicht darum, ob man davon leben kann …

Wovon lebst du denn, etwa nicht von der Kunst?

Nein! Wovon ich lebe, ist die Inspiration, also das gleichzeitig mit dem Publikum zu machen, deshalb mache ich kein Kunstwerk, stelle es in die Galerie und verkaufe es oder male ein Bild: Das erfüllt mich nicht. Ich stelle mich mit meinen Schwächen und erzähle aus meinem Leben, über das Leben, und dann vergleichen die Rezipienten ihr Leben mit meinem Leben, und sagen: »So schlimm ist das ja gar nicht!« Es ist kein Hochglanzsport wie bei Gerhard Richter. Beim mir ist Kunst eine Art Ackerfurchenkrabbeln mit dem Ziel, die Wesenspräsenz anzutatschen. Kunst sollte leicht sein, das heißt: Du siehst eine Feder im Glanz der Sonne schön weit schweben, dann blendet dich die Sonne und die Feder verwandelt sich in einen Amboss, der dich in den Kopf rammt, verstehst du?

Die Kunst ist so frei, leicht wie eine Feder und scharf wie ein Amboss zu sein?

Nein! Versuch nicht, Begriffe immer auf die Objekte anzuwenden, denn genau dieser Freiheitsbegriff ist eine Utopie, und er wurde allmählich zu einem Propagandawort. In der heutigen Welt ist alles so miteinander verbunden – eine Wimper und eine Kniescheibe, aber auch eine Handlung, ein Tatendrangdrama mit einer anderen Handlung – und so voneinander abhängig, dass es Freiheit eigentlich nicht gibt. Man ist nicht frei! Ich kann nicht fliegen, ich möchte fliegen, habe aber keine Flügel, bin also schon mal eingeschränkt. Man lebt also mit diesen Restriktionen, aber man versucht sie zu biegen, um einen Ausweg zu finden. Es geht nicht um eine Erlösung, sondern um eine Lösung, die wir für uns finden müssen, denn so ist halt das Leben. Lösungen sind ein Anreiz, um weiterzumachen, Auswege zu finden, aber wichtige Lösungen, wie die Kunstwohlfahrt, kann man nicht erreichen. Du kannst eine Wesenspräsenz erreichen, aber dann brauchst du im Gegenzug eine Ackerfurche: Die Ackerfurche ist Bodenhaftung. Du brauchst beides. Kunst kommt aus dem Kopf und aus dem Bauch.

  • Stefanie Heckmann, Leitung der Sammlung Bildende Kunst und Kuratorin der Ausstellung, Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie und John Bock. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Wie reagiert das Publikum auf deine Kunst?

Einige sind verunsichert, einige mögen meine Kunst nicht, die anderen mögen sie. Ich habe keine Mittelwerte. Das hat sich so herauskristallisiert. Das ist aber auch verständlich. Bei einem Maler würde man zum Beispiel sagen: »Ach, Junge, setz dich hin und mal mal«. Ich kann gar nicht malen, mich interessiert es, die Dinge durcheinander zu bringen. Ich kann nicht mehr an ein Bild, ich kann nicht mehr an eine Skulptur glauben. Ich kann nur noch an eine Verbindung, an eine Interdependenz oder an eine Elastizität glauben, verstehst du? Wie kann ich an dieses Ding noch glauben, es geht gar nicht mehr, ich kann es ja gleich nachmachen, vielleicht sogar besser oder auch schlechter, aber das ist nicht von Bedeutung. Von Bedeutung ist, mit dem ganzen Zeug zu leben.

In der Wirklichkeit oder im Kopf?

Im Kopf. Nach dem Ende der Ausstellung wird das Zeug ja eingelagert, aber es kommt in einer anderen Ausstellung wieder, da muss man es neu aufbauen, und dann stellt sich die Frage, ob das einen Lustgewinn bringt. Wenn du eine Banane isst, gibt das einen schönen Lusteffekt. Dann isst du eine zweite: »Super!« Aber bei der zehnten Banane geht der Lusteffekt ganz schnell runter und du sagst: »Herr Ober, ich kann nicht mehr! Ich muss mich übergeben!«

Wie oft ist diese Installation – »Dünnhäutig« –  ausgestellt worden?

Das ist zweimal ausgestellt worden.

Der Lusteffekt ist also noch da, oder?

Ja, aber bei mir geht’s leider sehr schnell vorbei. Ich muss immer was Neues machen.

Warum gibt es in deiner Kunst, vor allem in deinen Filmen, so viel Gewalt und Brutalität?

Das nenne ich Tatendrangdrama. Ich fühle mich nicht wohl in einem Kontext von Kunst, wo das Schöngeistige gern gezeigt oder der Glaube an ein abstraktes Bild oder an Ästhetik zelebriert wird. Bei mir geht es darum, dass die Leute hineinschauen, weil es eklig wird. In einem Film ist am Anfang alles in Ordnung, auf einmal geht alles ganz schnell, dann kommt eine brutale Szene, um einfach die Leute zu schocken und wieder in Wallung zu bringen, verstehst du? Denn die Kunstwelt hat sich wirklich auf einen Konsens von Kissenschlacht eingestellt: Die hauen sich nur noch mit Kissen und ihre einzige Sorge ist, ein zweites Haus in Mecklenburg-Vorpommern zu kaufen. Kunst muss wehtun, damit sich das Denken mal ändert, damit man seine Denkstrukturen allgemein ändert, und zwar nicht dadurch, dass ich jetzt Vegetarier werde, dass ich jetzt Yoga mache, dass ich jetzt ins Kino oder nicht mehr ins Kino gehe!

Ist das die Inspiration, aus der deine Kunst entsteht?

Ich weiß nicht mehr, wie meine Kunstwerke entstehen. Sie können am Küchentisch entstehen, aber ich mache Kunst, um einfach Ängste abzubauen. Das Schöne ist: Wenn die Leute von mir Sachen kaufen, haben sie keine Angst, sie hinzustellen und sie haben auch keine Angst, sie einzulagern. Oberflächliche Hochglanzkünstler, wie Jeff Koons, machen den Sammler zu einer Art Lakaien, zu einem Hündchen. Das ist der Kunstmarkt. Und der Kunstmarkt hat nicht vor, die Menschen zu ändern, sondern sie zu erniedrigen und an sich zu binden. Einen Schauspieler zu sehen ist viel besser, als ein Kunstwerk in der Wohnung zu haben.

  • Blick in die Ausstellung "Im Moloch der Wesenspräsenz". Foto © Urszula Usakowska-Wolff

»Im Moloch der Wesenspräsenz« steht am Ende die Installation »Dünnhäutig«, die du »Kunst der Selbstirritation« nennst. Was bedeutet das?

Wir haben den Film »Hell’s Bells« gemacht, der sehr anstrengend war. Das ist immer so: Man möchte gern einen Film machen, und noch einen Film und noch einen Film, dann wird es zu viel, dann hasst man seine eigenen Filme und versucht, Kontakt zu den Rezipienten aufzunehmen und was Leichtes zu machen, also knete ich halt Köpfe und packe sie in Plastikbecher und dann ist es so eine Art ruhiges Laisser-faire. Ich habe wahrscheinlich auch einen Katalog von Malewitsch gesehen, deshalb gibt es hier diese »Ikone des Grauens«, ein »Schwarzes Quadrat«, nur dass es bei mir ein Rechteck ist.

»Ikone des Grauens« – hört sich gut an, klingt aber ziemlich hart!

Nee, das ist ja nicht Malewitschs Problem, sondern das Problem der Rezipienten, die das alles hören, die das alles lesen, die das alles glauben müssen. Malewitschs Quadrat ist, wenn du dir das Original anschaust, kummerschief. Malewitsch hat eine Idee gehabt, er dachte, ich male mal schwarz. Er hat das Ding einfach schwarz angemalt. Das war seine Sprache. Das ist das Schöne: Man muss sich befreien vom Material, vom Perfektionismus, man muss einfach den Mut haben, uneben zu sein. Das Perfekte und die Klarheit zu zelebrieren ist eine Art Lüge.

Warum stecken auf Bobby Fischers fotokopierten Zeitungsbildern saure Gurken in Socken?

John Bock, Widmung für UrszulaSocken sind gar nicht sexy, dafür aber Gurken, obwohl sie verschrumpeln. Gurken sind ein erotisches Element fürs Auge. »Dünnhäutiger« ist auch eine Huldigung an Bobby Fischer, einen gefallenen Engel, mit Fotos aus der Zeit, als er gegen Spasski gewann. Ich spiele sehr schlecht Schach, aber ich mag exaltierte Menschen, die nicht nach den Regeln spielen.

Fragen & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff


John Bock
Im Moloch der Wesenspräsenz
23. Februar – 21. August 2017
Berlinische Galerie
Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-12
10969 Berlin
Öffnungszeiten:
Mittwoch-Montag 10 bis 18 Uhr
Dienstag geschlossen

Katalog John Bock, WesenspräsenzJohn Bock 
Wesenspräsenz No 4d 
mit einem Vorwort von Thomas Köhler
und einem Text von Stefanie Heckmann 
Deutsch/Englisch
Verlag der Buchhandlung Walther König 

Preis: 28 Euro 

Parallel zur Ausstellung findet vom 5. März bis zum 4. April und vom 26. Juli bis zum 21. August im IBB-Videoraum der Berlinischen Galerie die Deutschlandpremiere von »Hell’s Bells«, dem neuesten Spielfilm des Künstlers, statt.

Website von John Bock >>>