Avantgarde altert nicht: Die Künstlergruppe »Brücke« begeistert Generationen
Avantgarde altert nicht: Die Künstlergruppe »Brücke« begeistert Generationen

Avantgarde altert nicht: Die Künstlergruppe »Brücke« begeistert Generationen

Die »Brücke«, eine der ältesten Künstlergruppen der Moderne, entwickelte gemeinsam eine Stilrichtung, die als Expressionismus in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist.  Sie revolutionierte nicht nur die Malerei, sie trug auch dazu bei, dass die Druckgrafik, vor allem der damals zur Gebrauchs- und Werbegrafik verkommene Holzschnitt, sich als eigenständige Kunst behaupten konnte. 

Von Urszula Usakowska-Wolff

»Mit dem Glauben an die Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir eine neue Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt«, verkündete das knappe Manifest der »Brücke«. Die Künstlergruppe wurde am 7. Juni 1905 von Ernst Ludwig Kirchner (1880 – 1938), Fritz Bleyl (1880 – 1966), Erich Heckel (1883 – 1970) und Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976) in Dresden gegründet. Diese vier Architekturstudenten der Technischen Hochschule in Dresden waren, abgesehen von Kirchner, der im Winter 1903/04 die Debschitz-Schule in München besucht hatte, Autodidakten auf dem Gebiet der Malerei. »Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit treten könnten«, erzählte Erich Heckel 1958 der Zeitschrift »Das Kunstwerk« in Baden-Baden. »Schmidt-Rottluff sagte, wir können das >Brücke< nennen – das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen. Wovon wir weg mussten, war uns klar, wohin wir kommen würden, stand allerdings weniger fest.«

Karl Schmidt-Rottluff, Badende, 1925, Mosaik, Brücke-Museum Berlin, Karl und Emy Rottluff Stiftung. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Karl Schmidt-Rottluff, Badende, 1925, Mosaik, Brücke-Museum Berlin, Karl und Emy Rottluff Stiftung. Foto © Urszula Usakowska-Wolff


Kräftig und heftig

Heute ist es klar: Die »Brücke«, eine der ältesten Künstlergruppen der Moderne, entwickelte gemeinsam eine Stilrichtung, die als Expressionismus in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist. Dem in ihrer Zeit obligatorischen und bereits akademisch erstarrten Impressionismus setzten die Autodidakten aus Dresden eine ausdruckstarke, kräftige und gefühlsbetonte Malweise entgegen. Ihre Inspirationsquellen fanden die antiakademischen und antibürgerlichen Bohemiens in der deutschen Kunst des Mittelalters und der Renaissance sowie im Jugendstil; zu ihren Vorbildern gehörten auch Vincent van Gogh (1853 – 1890), Paul Gauguin (1848 – 1903) und die französischen Fauvisten. Besonders stark fühlten sie sich jedoch von der »primitiven« außereuropäischen Kunst angezogen, deren Werke, vor allem den berühmten »Palau-Balken« mit erotischen Schnitzereien, sie im Dresdner Völkerkundemuseum bewundern konnten. Unter dem Einfluss dieser Kunst entwickelten sie einen flächigen, dynamischen, farbigen und stark kontrastierten Mal- und Zeichenstil. Ihre heftig aufgetragenen leuchtenden Farben stimmten mit den Naturvorbildern nicht mehr überein, die Formen wurden aufs Wesentliche reduziert, überdimensioniert oder verfremdet. Sie revolutionierten nicht nur die Malerei, sie trugen auch dazu bei, dass die Druckgrafik, vor allem der damals zur Gebrauchs- und Werbegrafik verkommene Holzschnitt, sich als eigenständige Kunst behaupten konnte.

Ernst Ludwig Kirchner, KG Brücke, 1910, Ausstellungsplakat der Galerie Arnold in Dresden, Albertina Wien, Quelle: Wikipedia
Ernst Ludwig Kirchner, KG Brücke, 1910, Ausstellungsplakat der Galerie Arnold in Dresden, Albertina Wien, Quelle: Wikipedia


International und emotional

Zu einem wichtigen Grundsatz der Künstlergruppe aus Dresden gehörte die Zusammenarbeit mit anderen gleichgesinnten Künstlern, mit denen sie in gemeinsamen Ausstellungen die Öffentlichkeit für die avantgardistische Kunst gewinnen wollten. Der »Brücke« traten 1906 Hermann Max Pechstein (1881 – 1955) und Emil Nolde (1867 – 1956), der sie jedoch bereits nach einem Jahr verlassen hatte, sowie 1910 Otto Mueller (1874 – 1930) bei. Um die Internationalität der avantgardistischen Bestrebungen zu betonen, bemühten sie sich, ausländische Künstler wie den Schweizer Cuno Amiet (1868 – 1961), den Niederländer Kees Van Dongen (1877 – 1968) oder den Finnen Axel Gallén-Kallela (1865 – 1931) einzubinden. In einer Zeit, in der Kaiser Wilhelm II. die Moderne als »Rinnsteinkunst« diffamierte, stellten die jungen »Brücke«-Rebellen mutig und selbstbewusst etablierte Kunstformen und überkommene Moralvorstellungen infrage und strebten danach, eine neue Einheit von Kunst und Leben zu schaffen. Sie erfanden eine emotionale, spontane und impulsive Malweise, in der sie die Farbe vom Naturvorbild lösten, die Form radikal vereinfachten, auf akademische Proportionen und die traditionelle Perspektive verzichteten, die Fläche betonten und den Bildraum verfremdeten, wodurch sie die damaligen Sehgewohnheiten revolutionierten. Neben der Kunst der »primitiven« Völker fanden sie ihre Motive in der Umgebung von Dresden.

Ernst Ludwig Kirchner, Spielende nackte Menschen, 1910, Pinakothek der Moderne, Quelle: Wikipedia
Ernst Ludwig Kirchner, Spielende nackte Menschen, 1910, Pinakothek der Moderne, Quelle: Wikipedia


Künstlerische Sommerfrische

»Der Akt ist die Grundlage aller bildenden Kunst«, schrieb Ernst Ludwig Kirchner 1913 in der »Brücke-Chronik«. Von Anfang an zeichneten die Mitglieder der »Brücke« so genannte »Viertelstundenakte«, wo sie die Modelle in ihrer zwanglosen Bewegung spontan erfassten. Zwischen 1909 und 1911 verbrachten Kirchner und Heckel ihre Freizeit gemeinsam mit Freundinnen und Modellen bevorzugt an den Moritzburger Teichen, wo sie ihr Aktstudium als Verwirklichung einer harmonischen Einheit von Kunst und Leben in freier Natur und freier Natürlichkeit fortsetzten. In diesem »arkadischen Refugium« badeten sie, sonnten und liebten sich mit ihren Modellen an den Ufern und zeichneten. Das Ergebnis der künstlerischen Sommerfrische sind zahlreiche Skizzen und Bilder der Badenden, Landschaftsbilder, Ortsbilder und Bilder der Häuser und Höfe in Moritzburg, des Fasanenschlösschens und der Insel im Dippelsdorfer Teich. Nach dem Zerfall der »Brücke« blieben ihre Mitglieder, jeder auf seine Art, der Aktmalerei treu, die für sie, auch im Zusammenhang mit den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, ein Sinnbild des verlorenen Arkadiens und des humanen Menschenbildes wurde.

Otto Müller, Landschaft mit Badenden, 1915, Kircher Museum Davos, Quelle: Wikipedia
Otto Müller, Landschaft mit Badenden, 1915, Kircher Museum Davos, Quelle: Wikipedia


Am Ende doch in Berlin

Die Künstlergruppe aus Dresden versuchte, außerhalb von Elbflorenz Brücken zu schlagen und hoffte, auch an der Spree zu neuen Ufern aufzubrechen. Als Pechstein 1910 in Berlin die »Neue Secession« gründete, trat ihr die »Brücke« geschlossen bei und zog ein Jahr später in die Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs um. Unter dem Einfluss des Großstadtlebens änderten die Künstler ihren Stil und ihre bisherigen Motive, obwohl sie die Akt- und Naturstudien an der Ostsee, unter anderem auf der Insel Fehmarn, in Nidden und Rowe fortführten. 1912 trat Pechstein aus der Künstlergruppe aus, da er sich in seiner persönlichen Ausstellungsfreiheit beeinträchtigt fühlte. 1913 wurde die »Brücke« aufgelöst, aus ihrem einheitlichen Stil entwickelten sich verschiedene Einzelstile, denn mit derartigen Persönlichkeiten und Individualisten ist auf die Dauer zwar Kunstgeschichte, jedoch keine gemeinsame Kunst zu machen. Die Künstler der »Brücke« gingen ihren eigenen Weg und wurden zu unbestreitbaren Größen des Expressionismus, was aber einige Zeit dauerte. In der Weimarer Republik gehörten sie zu der verkannten Avantgarde, das Dritte Reich betrachtetet sie als degeneriert, vernichtete und beschlagnahmte ihre Werke und gab sie 1937 in der berüchtigten Schau »Entartete Kunst« in München zum (inszenierten) Gespött frei. Erst dreißig Jahre später wurde die Bedeutung der »Brücke« offiziell anerkannt und mit einem festen Domizil gewürdigt. Ausgerechnet in Berlin, wo die Gruppe einst auseinanderbrach, wurde auf Initiative von Schmidt-Rottluff das Brücke-Museum in Dahlem gebaut und am 15. September 1967 in Anwesenheit des 83-jährigen Künstlers eröffnet. Er und der in Süddeutschland lebende Heckel, der wegen seines hohen Alters zur Eröffnungsfeier nicht kommen konnte, bedachten das Museum mit großzügigen Schenkungen. Das von Werner Düttmann entworfene und idyllisch am Rande des Grunewalds gelegene Haus verfügt mit 500 Gemälden und Plastiken, tausenden Zeichnungen, Aquarellen, Grafiken und anderen Dokumenten über die weltweit größte Sammlung einer Künstlergruppe, die schon seit über einem Jahrhundert Generationen von »Genießenden« begeistert und ihre Werke nicht zu altern scheinen.

Text © Urszula Usakowska-Wolff 


Brücke-Museum Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Brücke-Museum Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff