Topp oder Flopp: Die polnische Regierung kauft die Czartoryski-Sammlung, deren bekanntestes Meisterwerk die »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci ist
Topp oder Flopp: Die polnische Regierung kauft die Czartoryski-Sammlung, deren bekanntestes Meisterwerk die »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci ist

Topp oder Flopp: Die polnische Regierung kauft die Czartoryski-Sammlung, deren bekanntestes Meisterwerk die »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci ist

Ende Dezember 2016 hat der polnische Staat für umgerechnet 100 Millionen Euro die berühmte Czartoryski-Sammlung gekauft. Der Marktwert der aus 590 Gemälden, 86.000 Objekten, unter anderem Waffen, Münzen, Schmuck sowie 250.000 Büchern und Manuskripten bestehenden Kollektion, die von einem der ältesten und einst mächtigsten Adelsgeschlechter Polens zusammengetragen wurde, soll angeblich 2 Milliarden Euro betragen, obwohl es keine genauen und zuverlässigen Schätzungen gibt.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Das international bekannteste Sammlungsstück ist die »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci, ein kleines (54,7 x 40,5 cm), über 500 Jahre altes, mit Öl und Tempera auf Nussbaumholz, gemaltes Bild, welches 2011 – in einem Kasten aus zwölf Millimeter Panzerglas und somit von potentiellen Attentätern geschützt –, in der Ausstellung »Gesichter der Renaissance. Meisterwerke Italienischer Portrait-Kunst« im Bode-Museum auf der Museumsinsel in Berlin gezeigt wurde. Nicht zuletzt dank dieser Schau erreichte die »Dame mit dem Hermelin« eine Bekanntheit, die sich mit der von »Mona Lisa«, auch sie aus Meister Leonardo da Vincis Hand, messen kann. Gedruckt auf Magnete, Teetassen, Mauspads, T-Shirts und viele andere Dinge, wird sie gnadenlos vermarktet und ist Teil der heutigen Massenkultur. Ein Grund für den Besuch bei der alten »Dame«, einer neuen Pop-Ikone des 21. Jahrhunderts.

Ticketverkauf vor dem Bodemusem für die Ausstellung "Gesichter der Renaissance, 2011, Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Ticketverkauf vor dem Bodemusem für die Ausstellung „Gesichter der Renaissance, 2011, Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Mohr und Mätresse

Die von Leonardo da Vinci (1452-1519) porträtierte, ewig jung gebliebene Schönheit mit dem unvergänglichen weißen Kleinraubtier, auf dem ihre überdimensional große linke Hand ruht, blickt zusammen mit ihm nach rechts und auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Sie hieß Cecilia Gallerani und wurde um 1473 in einer aus Siena stammenden Familie geboren, die sich in Mailand niederließ. Cecilia war intelligent und gebildet, sprach Latein, schrieb Gedichte, kannte sich in Philosophie und Theologie aus. Anfang 1489 fiel die 16-jährige donna docta (gelehrte Dame) dem 37 Jahre alten Mailänder Herzog Lodovico Maria Sforza, wegen seines dunklen Teints Il Moro genannt, ins Auge. Er holte sie nach Mailand, wo sie seine Mätresse wurde. Doch ihr gemeinsames Glück währte nicht lange, denn dem Mohren war eine andere Gattin auserkoren. Am 16. Januar 1491 ehelichte er Beatrice, die Tochter des Herzogs von Ferrara Ercole d´Este. Knappe vier Monate später wurde Cesare, der Sohn von Cecilia und Lodovico geboren. Als Geschenk erhielt sie von Sforza ihr von Leonardo da Vinci gemaltes Konterfei sowie das Palazzo Carmagnola, damit sie nach ihrem unvermeidlichen Abgang vom Mailänder Hof angemessen wohnen konnte. Der dankbare und fürsorgliche Herrscher suchte seiner Mätresse auch einen Ehemann aus. Im Juni 1492 heiratete sie den Grafen Carminati de Brambilla, genannt Bergamini, der ebenfalls auf den Vornamen Lodovico hörte, und verschwand kurz darauf zur Erleichterung der Beatrice aus dem Leben ihres rechtmäßigen Gatten, an dem sie sich leider nicht lange Zeit erfreuen konnte. Sie starb bereits am 2. Januar 1497, knappe sechs Monate vor Vollendung des 22. Lebensjahres, während die Rivalin 1536 als Gräfin Cecilia Bergamini auf ihrem Schloss in San Giovanni in Croce in der Nähe von Cremona das Zeitliche segnete. Da war sie 63 Jahre alt und überlebte ihren Geliebten, ihren Ehemann, ihre fünf Kinder und den Meister Leonardo da Vinci, der sie einst malte und unsterblich machte.

Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1490, Czartoryski-Sammlung Krakau, Quelle: Wikipedia, public domain
Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1490, Czartoryski-Sammlung Krakau, Quelle: Wikipedia, public domain

Nachgebessert und spät entschlüsselt

Doch bevor sich die Nachwelt an dem heute mit der astronomischen Summe von 300 Millionen Euro versicherten und kugelsicheren Werk erfreuen konnte, vergingen fast drei Jahrhunderte. In wessen Besitz es sich nach Cecilias Tod befand, ist unbekannt. Das Porträt der »Dame mit dem Hermelin« tauchte erst 1800 auf. Es wurde von Adam Jerzy Fürst Czartoryski wahrscheinlich in Italien gekauft. Der Fürst wusste nichts über das Bild, doch er war davon begeistert und schenkte es seiner Mutter Izabela, die in ihrer Residenz in Puławy unweit von Lublin eine Kunstsammlung aufbaute. Die Fürstin verglich das Porträt der unbekannten Dame mit einem Bild von Leonardo da Vinci, das die Geliebte des französischen Königs Franz I., Madame Féron, genannt La Belle Ferronière, darstellte, und kam zum Schluss, dass es sich um dieselbe Person handelt. Sie ließ in der linken oberen Bildecke die Aufschrift »La Belle Ferronière – Leonardo da Winci«, anbringen, die dort bis heute in unveränderter Schreibform erhalten geblieben ist. Damit nicht genug: Wohl auf Geheiß der Fürstin Izabela Czartoryska wurde das Bild »nachgebessert«. Der ursprüngliche lichtdurchflutete blaugrüne Hintergrund wurde mit schwarzer Farbe übermalt. Die Korallenkette, das Stirnband und die Verzierungen des Kleides wurden mit einer dicken Farbschicht bedeckt, die Wangen der »Dame« mit Rosa gepudert, die Konturen der Nase, die Augenbrauen und die Haarsträhnen mit dunkelbraunen Strichen nachgezogen, die Pupillen mit dunkelbrauner Farbe gefüllt. So ging das für da Vincis Malerei charakteristische sfumato (die Verwischung der Konturen) unwiderruflich verloren. Das Porträt hing bis 1830 im Gotischen Haus, dem Museum der Czartoryski in Puławy. Nach der Niederlage des Novemberaufstands, als die Russen die Czartoryski-Besitztümer beschlagnahmten, gelang es, dieses Gemälde und viele andere Exponate aus ihrer Kunstsammlung nach Paris zu bringen. Über 30 Jahre später kehrte die »Dame« nach Polen zurück und war eines der Hauptwerke des am 1. Dezember 1876 eröffneten Czartoryski-Museums in Krakau. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Porträt als Bildnis der Cecilia Gallerani identifiziert: Das führte man einerseits auf ihrem Namen zurück, in dem das griechische Wort galée (Hermelin) steckt, andererseits fanden Historiker heraus, dass Lodovico Sforza 1488 vom König Ferdinand von Neapel der Hermelinorden verliehen wurde, was dem Mohren den Beinamen ermellino bianco (weißes Hermelin) brachte. Das Hermelin auf dem Porträt der Cecilia Gallerani ist also eine Allegorie ihres Geliebten.

Unbekannter Meiste, Ludovico Sforza, um 1494, Ausschnitt aus dem Sforza-Altar, Pinacoteca di Bera, Mailand, Quelle: Wikipedia, public domain
Unbekannter Meiste, Ludovico Sforza, um 1494, Ausschnitt aus dem Sforza-Altar, Pinacoteca di Bera, Mailand, Quelle: Wikipedia, public domain

Für das »Führer-Museum« bestimmt

Im 20. Jahrhundert geriet die »Dame mit dem Hermelin«, das einzige Bild da Vincis in Polen, in die Wirren der Geschichte. Während des Ersten Weltkriegs wurde es sicherheitshalber in der Dresdner Gemäldegalerie deponiert, doch erst zwei Jahre nach Kriegsende konnte das Porträt nach Krakau zurückkehren. 1939 wurde es von den deutschen Besatzern beschlagnahmt, nach Berlin verschleppt und im Kaiser-Friedrich-Museum, das seit 1956 Bode-Museum heißt, verwahrt. Obwohl es für die Sammlung des geplanten »Führer-Museums« in Linz bestimmt war, weckte die »Dame« die Begierde von Hans Frank, Leiter des so genannten Generalgouvernements im besetzten Polen, der auf der Wawel-Burg der polnischen Könige in Krakau residierte und sich das Meisterwerk unter die Nägel riss. Mitte Januar 1945 nahm er es zusammen mit anderer Beutekunst mit auf die Flucht vor der Roten Armee, die vor den Toren Krakaus stand. Am 4. Mai 1945 wurde Generalgouverneur Frank von US-amerikanischen Soldaten im Neuhaus am Schliersee in Bayern festgenommen und in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilt. 1946 kehrte die »Dame mit dem Hermelin« nach Polen zurück. Das Foto des Kunsthistorikers Dr. Karol Estreicher, Hauptmann der polnischen Streitkräfte im Westen und Leiter der Rückführungskommission der polnischen Exilregierung in London, der das gerettete Bild auf dem Krakauer Hauptbahnhof präsentierte, ging um die Welt. Die Volksrepublik Polen verstaatlichte die Czartoryski-Sammlung nicht, sie wurde vom Nationalmuseum in Krakau betreut. Nur einmal schickte es in dieser Zeit die »Dame mit dem Hermelin« auf Reisen: 1972 wurde sie in der Ausstellung des europäischen Porträts vom 15. Bis zum 20. Jahrhundert im Puschkin-Museum in Moskau gezeigt. 1991 begann für die »Dame« eine neue Ära: Die Czartoryski-Sammlung wurde der Czartoryski-Familie übergeben, vertreten durch den 1940 in Sevilla geborenen Adam Karol Fürst Czartoryski Borbon, der sie in die Czartoryski-Stiftung überführte. Seitdem reiste das wertvolle Bild um die Welt. Bedeutende Museen in Washington, Malmö, Stockholm, Rom, Mailand, Florenz, Kioto, Nagoya, Yokohama, Milwaukee, Houston, San Francisco, Berlin, London, Budapest und Madrid zeigten es in ihren Ausstellungen. Das stieß auf großen Widerstand der polnischen Konservatoren und Ministerialbehörden, die der Meinung waren, dass solche Reisen der »alten Dame« schaden und dass man ihr eine längere Ruhepause gönnen muss. Das geschah auch, denn seit 2012 hängt das umtriebige Gemälde in der Krakauer Wawel-Burg.

Der polnische Kunsthistoriker Karol Estreicher präsentiert 1946 Die Dame mit dem Hermelin auf dem Krakauer Hauptbahnhof zusammen mit dem US-amerikanischen MFAA-Leutnant Frank P. Albright und zwei nicht identifizierten Gis. Foto Lynn Nicholas, Quelle: www.rapeofeuropa.com
Der polnische Kunsthistoriker Karol Estreicher präsentiert 1946 Die Dame mit dem Hermelin auf dem Krakauer Hauptbahnhof zusammen mit dem US-amerikanischen MFAA-Leutnant Frank P. Albright und zwei nicht identifizierten Gis. Foto Lynn Nicholas, Quelle: www.rapeofeuropa.com

Fast eine Schenkung zum Wohle Polens

Seit Ende des vorigen Jahres gehört das bekannteste Kunstwerk der Czartoryski-Sammlung und sie selbst »dem polnischen Volk«: Sein hoher Vertreter, Piotr Gliński, Minister für Kultur und Nationales Erbe und Vizepremier, unterzeichnete am 29. Dezember 2016 im Warschauer Schloss einen Vertrag, wodurch die Republik Polen zur Eigentümerin der illustren Kollektion und ihres Ausstellungsorts, des Czartoryski-Museums in Krakau, wird. Die offiziell genannte Summe von 100 Millionen Euro, die auf das Privatkonto von Adam Karol Fürst Czartoryski Borbon geflossen sein soll, ist, angesichts des hypothetischen, weil nie ermittelten Marktwerks der Sammlung – angeblich 2 Milliarden Euro, ein Schnäppchen und »fast eine Schenkung«, wie der polnische Kulturminister frohlockt. Sein in Rom lebender fürstlicher Kontrahent, der in der Vergangenheit als Karateka beachtliche Erfolge feierte, gab sich bei der Unterzeichnungsfeier als großer polnischer Patriot zu erkennen. »Ich will das Werk meiner Vorfahren zum Wohle Polens fortsetzen«, sagte er der Polnischen Nachrichtenagentur (PAP). Der Vorstand der vom Fürsten 1991 gegründeten Czartoryski-Stiftung, in deren Obhut sich die Sammlung befand, soll aber über die Verkaufsabsichten nichts gewusst haben. Als sie ruchbar wurden, trat der Stiftungsvorstand am 23. Dezember 2016 geschlossen zurück. Auch ohne sein Wissen verschwand aus der Satzungsstiftung der Artikel über das Verbot, die Sammlung zu veräußern. Der im Nu eingesetzte neue Vorstand dementierte, dass die Verkaufssumme auf das Konto des Fürsten überwiesen wurde. »Der Empfänger ist die Czartoryski-Stiftung, also eine Institution«, betonte Michał Radziwiłł, neues Vorstandsmitglied, im Sender Polskie Radio RDC. Er machte auf die schwierige Situation des »Schenkers« Adam Karol Czartoryski aufmerksam, »der ein alter, nicht sehr wohlhabender Mann ist und keinen männlichen Nachkommen hat. Indem er seine Sammlung dem polnischen Staat übergab, sorgte er für ihre Zukunft.«

Adam Karol Fürst Czartoryski Borbon und seine Frau Josette Calil posieren neben der "Dame mit dem Hermelin" beim Pressetermin vor der Eröffnung der Ausstellung "Gesichter der Renaissance" am 24. August 2011 im Bode-Museum Berlin, wobei sie die Kameraleute so dicht an das hochgesicherte und hoch versicherte Porträt der Cecilia Gallerani drängte, dass die Alarmanlage zu heulen begann. Oder war es das Keckern des vom Blitzlicht irritierten Hermelins? Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Adam Karol Fürst Czartoryski Borbon und seine Frau Josette Calil posieren neben der „Dame mit dem Hermelin“ beim Pressetermin vor der Eröffnung der Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ am 24. August 2011 im Bode-Museum Berlin, wobei sie die Kameraleute so dicht an das hochgesicherte und hoch versicherte Porträt der Cecilia Gallerani drängten, dass die Alarmanlage zu heulen begann. Oder war es das Keckern des vom Blitzlicht irritierten Hermelins? Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Deal des Jahrhunderts?

Nun bleibt die Sammlung in Krakau, wo sie schon immer war. An welchem Ort und wann die über 300.000 Exponate in Zukunft dort ausgestellt werden, ist unbekannt. Die Renovierung des Czartoryski-Museums in Krakau dauert schon sechs Jahre, ein Ende ist nicht in Sicht, denn für seine Fertigstellung werden 10 Millionen Euro benötigt, ein Peanuts im Vergleich zu den 100 Millionen. Doch woher das Geld kommen soll, steht in den Sternen. Kritiker des »Deals des Jahrhunderts, wie der Ankauf der Czartoryski-Sammlung vom Minister Gliński bezeichnet wird, meinen darüber hinaus, sein Ministerium habe Werke »zurückgekauft«, die laut Satzung der Czartoryski-Stiftung, schon immer öffentlich zugänglich waren. Die Gefahr, dass Sammlungsteile im Ausland verkauft werden, bestand auch nicht, denn alle vor 1945 geschaffenen Kunstwerke, die sich im polnischen Besitz befinden, gehören laut Gesetz zum Nationalerbe und dürfen nur mit Genehmigung des Kulturministeriums außerhalb Polens gezeigt – und ausnahmslos nicht verkauft werden.

Alexander Roslin: Prinzessin Izabela Czartoryska, 1774, Czartoryski-Museum Krakau. Quelle: Wikipedia, public domain
Alexander Roslin: Prinzessin Izabela Czartoryska, 1774, Czartoryski-Museum Krakau. Quelle: Wikipedia, public domain

Verkauf wirft viele Fragen auf

So hat die Regierung der in Polen herrschenden Partei PIS (Recht und Gerechtigkeit) eine unveräußerliche Sammlung gekauft, um sie angeblich vor der Veräußerung im Ausland zu retten. Ob das weise war, wird sich weisen, wenn der Inhalt des Vertrags ans Tageslicht kommt. Es gibt viele Fragen, die geklärt werden müssen, zum Beispiel, ob Fürst Czartoryski eigenmächtig mit dem polnischen Staat verhandeln und die Sammlung, welche nicht ihm, sondern der Czartoryski-Stiftung gehört, überhaupt verkaufen durfte? Was geschieht, wenn auch andere Mitglieder der zahlreichen Czartoryski-Familie ihre Ansprüche auf die Sammlung erheben? Eins ist sicher: Die Sammlung, in deren Mittelpunkt ihr bekanntestes Objekt, die »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci steht, wird aus den Schlagzeilen nicht so schnell verschwinden.

Text © Urszula Usakowska-Wolff