Die Ausstellung The Moment is Eternity zeigt, wie die Fotografie den Augenblick verewigt
Die Ausstellung The Moment is Eternity zeigt, wie die Fotografie den Augenblick verewigt

Die Ausstellung The Moment is Eternity zeigt, wie die Fotografie den Augenblick verewigt

Zum ersten Mal stellt Thomas Olbricht im me Collectors Room Berlin eine große Auswahl der fotografischen Arbeiten aus seiner umfangreichen Sammlung vor. Das Besondere an dieser von Annette Kicken kuratierten Gruppenschau ist, dass die Fotografien mit Gemälden sowie mit Objekten aus seiner Wunderkammer in Dialog treten.

Der Titel der Ausstellung ist, wie das heute so üblich, englisch: The Moment is Eternity. Dahinter verbirgt sich ein Zitat aus dem Gedicht Vermächtnis, das der 80-jährige Johann Wolfgang von Goethe schrieb. In der Strophe, welcher der Ausstellungstitel entnommen wurde, schrieb der altersweise Poet:

Genieße mäßig Füll’ und Segen,
Vernunft sey überall zugegen
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.


(aus Goethes Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand. Bd. 22, S. 261–262, Verlag J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen, 1829)

Drei Jahre davor hat der Franzose Joseph Niépce die erste bis heute erhaltene Fotografie, eine Heliografie, aufgenommen. Seitdem ist es möglich, die vergänglichen Augenblicke, aus denen das Leben besteht, auch visuell zu verewigen, sie also vor dem Vergessen und der Endlichkeit zu bewahren.

In vergänglichen Körpern gefangen

Die Sammlung Olbricht besteht aus Werken, die sich den großen existenziellen Themen widmen: dem Leben, also dem Werden und Vergehen. Im Mittelpunkt des Interesses des Sammlers stehen solche Arbeiten, die sich den Menschen widmen: Gefangen in ihrer körperlichen Hülle und in Rollen, die sie sich selbst gewählt haben oder die ihnen aufgezwungen wurden, sind sie, wie fast alles auf Erden, tragische Figuren. Auch wenn sie Individuen sind, sind sie, wie man so schön sagt, Kinder ihrer Zeit – mit all den daraus resultierenden positiven und negativen Konsequenzen. Unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, Ansehen, Aussehen und Einkommen hört irgendwann ihr Leben auf.

The Moment is Eternity, Ausstellungsansicht, me Collectros Room. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

The Moment is Eternity,Ausstellungsansicht, me Collectros Room. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Meisterwerke der Fotografie

Die Menschen sind endlich. Die Ewigkeit ist aus der Sicht der Philosophie und Theologie zeitlos. Diese Zeitlosigkeit beschert den Menschen ebenfalls die Kunst, auch wenn ihre nicht immer vollkommenen, kranken, alternden oder vom Jugendwahn und anderen Erfordernissen des Zeitgeistes geplagten Körper die Fotografinnen und Fotografen mehr reizen als perfekte, glatte und letztendlich leere Körperhüllen. Die Bilder, die in der Ausstellung The Moment is Eternity gezeigt werden, prägen sich tief ins Gedächtnis ein, denn darin spiegelt sich die Mannigfaltigkeit, Schönheit und Sinnlichkeit des Lebens. Die beindruckende Schau bietet die Möglichkeit, an einem Ort so viele Werke zu sehen, die zu den Höhepunkten der dokumentarischen Fotografie gehören wie etwa eine Auswahl aus August Sanders monumentalem Werk Menschen des 20. Jahrhunderts (1892-1952), in der sich die individuellen Porträts zu einem kollektiven Antlitz seiner Epoche zusammenfügen; Gerhard Richters 48 Porträts (1971-1972) – mit fotorealistischen Ölbildern berühmter Männer, die die Moderne beeinflussten, und Nicholas Nixons Projekt Brown Sisters, wofür er seit 1975 Jahr für Jahr, ein halbes Leben lang, seine Freundin Bebe und ihre drei Schwestern fotografiert. Er zeigt darin, wie die Schwestern und ihre Beziehungen sich im Lauf der Zeit verändern.

Franz Gertsch,  Irène, me Collectors Room Berlin. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Franz Gertsch, Irène, me Collectors Room Berlin. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Schöne Irene und sympathischer Yves

Bild, Abbild und Spiegelbild, Inszenierung und Selbstbefragung sind auch Themen, denen in dieser Ausstellung viel Platz eingeräumt wird. Mit der Rolle, den Ritualen und Schönheitsidealen in der Kunst-und Kulturgeschichte setzt sich auf ihre unverkennbare Art Cindy Sherman auseinander.
Das fotorealistische Riesenporträt der schönen Irène mit dem trotzigem Blick und den sinnlichen rotgeschminkten Lippen ist ein wahrer eyecatcher. Franz Gertsch hat es 1980 gemalt: Irène wird, der Kunst sei Dank, ewig jung bleiben. Jung und zeitlos wirkt auch das überlebensgroße Konterfei Yves Saint Laurents aus Juergen Tellers Hand. Es ist dieses im Jahr 2000 aufgenommene Bild des französischen Modeschöpfers, das im kollektiven Gedächtnis lange erhalten bleiben wird: Der lachende Mann mit freundlichen blauen Augen hinter der altmodischen Brille wirkt darauf wie ein bescheidener und sympathischer, obwohl sehr prominenter Zeitgenosse.

Juergen Teller, Yves Saint Laurent (2. von rechts), me Collectors Room. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Juergen Teller, Yves Saint Laurent (2. von rechts), me Collectors Room. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Menschenbilder, die nicht altern

Die Ausstellung The Moment is Eternity versammelt Meisterinnen und Meister der Fotografie, unter denen sich, erst beim genauen Hinschauen erkennbar, Werke anderer Größen aktueller Kunst und der Kunstgeschichte befinden: gemalte oder gezeichnete Menschenbilder von Elizabeth Peyton, Albrecht Dürer, Francisco de Goya, Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner. Der Hals einer ausgestopften Giraffe, ein weißer ausgestopfter Pfau und ein großes Glasauge schauen dem Publikum beim Flanieren durch die Ewigkeit gewordenen Momente zu. Der Kuratorin, Fotospezialistin und Galeristin Annette Kicken ist es gelungen zu zeigen, dass Kunst, die diesen Namen verdient, nie alt aussieht und immer wieder erfreuen, bewegen und auf eine unaufdringliche Weise zum Nachdenken über die conditio humana anregen kann.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

The Moment is Eternity – Works from the Olbricht Collection >>>
26.09.2018-1.04.2019
me Collectors Room, Auguststraße 68, 10117 Berlin