K.H. Hödicke und wie er die Welt sah
K.H. Hödicke und wie er die Welt sah

K.H. Hödicke und wie er die Welt sah

Wenn einer die Bezeichnung »Berliner Künstler« verdiente, dann war es Karl Horst Hödicke. Als genauer Beobachter, der sachlich und nüchtern an seine Sujets heranging, zeichnete und malte er Selbstporträts, Akte, Pflanzen und Tiere in schmucklosen Interieurs und urbane Landschaften, Hinterhöfe und Ruinen in der Nacht und am Tag, verregnet, verschneit, düster, heiter, offen und häufig klaustrophob. Seine Bilder wirken wie beiläufig skizziert, auf einige wenige Elemente reduziert, manchmal etwas gespenstisch: »West-Berlin war eine Großstadt, die eine Insel war, deren Mitte nicht existierte. Straßen endeten im Nichts, Häuser bestanden einzig aus Fassaden – ein Unikum, das es woanders nicht gab«, so Hödicke. »Heute ist die Stadt wie jede andere – sichtlich nicht mehr so fremdartig.«

Immer wieder malte und zeichnete K.H. Hödicke seine Frau Elvira, mit der er seit 1987 verheiratet war. Das Bild entstand am 22.02.2013 beim Presserundgang der Ausstellung "K.H. Hödicke: Malerei, Skulptur, Film" in der Berlinischen Galerie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Immer wieder malte und zeichnete K.H. Hödicke seine Frau Elvira, mit der er seit 1987 verheiratet war. Das Bild entstand am 22.02.2013 beim Presserundgang der Ausstellung „K.H. Hödicke: Malerei, Skulptur, Film“ in der Berlinischen Galerie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Ästhetik und Poetik der gewöhnlichen Dinge

Berlin war für K.H. Hödicke Kulisse und Bühne eines Spektakels des Alltäglichen, Übersehenen und scheinbar Unbedeutenden. Er zeigte die verborgene Ästhetik und Poetik der gewöhnlichen Dinge: 1961 entstand das Bild »Rosa Verspannung«aus auf Keilrahmen aufgespanntem, verzogenem Textilstoff. Bedeckt mit einem Muster aus kleinen Entchen, Traktoren, Blümchen, Uhren, Schmetterlingen und Flugdrachen, mutet es wie ein Ornament aus heutigen Emoticons an. Kleine Bronzedenkmäler schuf er für Plastikeinlagen, in die Süßigkeiten gesteckt werden (»Das Kreuz im Toffifee« und »Kapelle«, beide 1989). Auf dem Tondo »Bestecke« (1972) verewigte er eine Gabel, die im nächtlichen Schaufenster irrlichtert. Indem Hödicke das Banale sublimierte, wies er auch auf die Sakralisierung des Konsums hin. Die »Croquis Studien« aus den späten 1980er und den frühen 1990er Jahren sind aus Pappe, auf der die Zeit Spuren hinterließ. Aus fragilem und vergänglichem Material gefertigt, haben diese Kunstwerke jedoch Anspruch auf ein ewiges Leben. Die Skulptur »Alabasterkopf« sieht wie ein Alabasterkanister aus. »Reflexionen und Spiegelungen« aus den 1969er und 1970er Jahren bestehen aus einer Reihe von Gemälden der Schaufenster, in denen sich Limousinen, Reklamen und Neonlichter spiegeln. In seinen Gemälden, Grafiken und Objekten setzte sich Hödicke mit den verschiedensten Ismen, so etwa mit dem Taschismus, auseinander. Die Skulptur »Architekturmodell« (1991) ist ein Ready-made aus zum Teil gelöcherten Ziegelsteinen in Weiß, Schwarz und Rot: Dadaismus und Konstruktivismus gehen hier eine symbiotischen Verbindung ein. Und Blau, die Farbe der deutschen Romantik und von Yves Klein war auch eine von K.H. Hödickes Lieblingsfarben.

Blick in die Ausstellung K.H. Hödicke, PalaisPopulaire, 9.10.2020 – 4.04.2021. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung K.H. Hödicke, PalaisPopulaire, 9.10.2020 – 4.04.2021. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Die Halbstadt, die es ihm angetan hat

Karl Horst Hödicke, am 21. Februar 1938 in Nürnberg geboren und am 8. Februar 2024 in Berlin gestorben, lebte seit 1945 in Wien, wo seine Mutter verstarb. Die Kindheit verbrachte er in München, kam als 19-Jähriger nach West-Berlin, um zuerst an der TU Architektur, dann an der Hochschule der Künste bei Fred Thieler Malerei zu studieren. Wie kein anderer prägte der Wahlberliner die Kunst seiner Stadt. 1964 war er einer der Mitbegründer der legendären Selbsthilfegalerie Großgörschen 35. 1974 als Professor für Malerei an die HdK berufen, unterrichtete er dort 31 Jahre lang. Weil aus seiner Klasse unter anderem Salomé, Rainer Fetting, Bernd Zimmer und Helmut Middendorf hervorgingen, wurde er »Vater der Neuen Wilden« genannt. Von der Kritik als »Wegbereiter des deutschen Neoexpressionismus« und »bedeutender Vertreter der Neuen Figuration« apostrophiert, ließ sich der Maler, Bildhauer, Filmer und Wortkünstler nicht in eine Schublade stecken. Seit Anfang der 1960er Jahre überraschte er immer wieder mit Arbeiten, die sich einer strikten Zuordnung entziehen. Abstrakt und figurativ waren für Hödicke keine Gegensätze, denn er bildete die Welt so ab, wie er sie sah. Seine Kunst ist eine Mischung aus ungegenständlichen und gegenständlichen Formen, die er vor, über und unter dem Fenster seines Ateliers fand. 1975 bezog er den »Dessauer Turm« in der Dessauer Straße in Kreuzberg direkt an der Mauer und der riesigen Brache am Potsdamer Platz, einem streng bewachten und kalt beleuchteten Niemandsland mitten in der geteilten Stadt, das er seine »Wüste Gobi« nannte: vor der Wiedervereinigung mit Sand, auf dem Unkraut wucherte, bedeckt, nach dem Mauerfall mit Baukränen gepflastert, die dieses Terrain in eine Betonwüste verwandelten.

Zeitgeist mit Springer und Doppell-Papel

Die Titel von K.H. Hödickes Werken zeugen davon, dass er auch ein begnadeter Wortkünstler war und ein Gespür für gesellschaftliche und politische Entwicklungen hatte. Davon zeugen unter anderem Gemälde wie die beidseitige »Krone des Geschmacks (Kleine Scheibe)« aus dem Jahr 1964, »Schwarze Gobi« (1982), »Ampelsprung. Der Kapitalist zeigt freudig erregt Max Ernst Berlin« (1985), »Untitled (Zeitgeist mit Springer) von 1986, »Baugrube vor nächtl Mart Gropius Bau« (1990), »Doppel-Pappel« (1989/1990) sowie etliche kleinere Arbeiten, darunter »Mal mit dem selben Blau« (1975). Eine Verbindung von Bild und Wort, häufig in Form von handschriftlichen Kommentaren mit viel Esprit sind seine Malereien auf Papier, die er »Testläufe« nannte, darüber hinaus tagebuchähnliche DIN-A4-Zeichnungen aus der Serie »Entwürfe«, Anfang der 1970er Jahren begonnen. Doch unabhängig vom Format, Material oder Genre tragen seine Werke die unverkennbare Handschrift ihres Schöpfers: Man erkennt darin auf Anhieb seine schnelle, expressive Geste, die stark kontrastierten und konturierten Formen, seinen Sinn für Humor und die Absurditäten des Seins. Es ist eine Kunst, die zwischen Ausschweifung, Disziplin und Verweigerung oszilliert. K.H. Hödicke schwamm gegen den Strom (oder die gängigen Strömungen); er bevorzugte von Anfang an kunstfremde Stoffe und Dispersionsfarben, weil sie schnell trocknen und nicht glänzen, sondern leuchten.

Blick in die Ausstellung K.H. Hödicke, PalaisPopulaire, 9.10.2020 – 4.04.2021. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung K.H. Hödicke, PalaisPopulaire, 9.10.2020 – 4.04.2021. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Nachtstücke, Plastikbestecke und eine APO(theke)

Ironie und Melancholie durchziehen sein Œuvre, das nicht altert, frisch, aktuell und zugleich ein Dokument der Zeit ist: unheimliche Nachtstücke, schillernde Plastikbestecke und eine APO(theke), triste Yukka-Palmen am Fenster, schwarzweiße minimalistische Tropfenbilder, wuchernde Medusenhäupter und Schaukelritter. Was K.H. Hödicke über seine dem griechischen Hirtengott gewidmete PAN-Serie schrieb, bezieht sich auf seine gesamte Betrachtungs- und Arbeitsweise: »Die Wirklichkeit ist trügerisch, nur ein momentaner Zustand. Ein Bild allein ist nur eines von vielen Bildern einer momentanen Wirklichkeit.«

Blick in die Ausstellung "K.H. Hödicke: Berliner Szenen", Grisebach, 12.12.2015 – 20.02.2016. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung „K.H. Hödicke: Berliner Szenen“, Grisebach, 12.12.2015 – 20.02.2016. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

K.H. Hödicke, der am 8. Februar 2024 kurz vor seinem 86. Geburtstag in Berlin starb, hinterlässt ein grandioses Werk, das den Glauben an die Unvergänglichkeit wahrer Kunst stärkt.