Charles Szymkowicz zeigt in der Ausstellung »Maudits!«, dass die wahren Künstler immer verfemt waren
Charles Szymkowicz zeigt in der Ausstellung »Maudits!«, dass die wahren Künstler immer verfemt waren

Charles Szymkowicz zeigt in der Ausstellung »Maudits!«, dass die wahren Künstler immer verfemt waren

In der Galleria Nove am Garnisonkirchplatz in Berlin-Mitte gibt es gegenwärtig 50 Arbeiten des 1948 in Charleroi geborenen Künstlers Charles Szymkowicz zu sehen, darunter mehr als die Hälfte Acrylbilder – sowie Aquarelle und Tuschezeichnungen, die eins gemein haben: Sie stellen Persönlichkeiten dar, die, oft verkannt, verspottet, verfolgt und missachtet, ihrer Zeit stets voraus waren und erst posthum richtig verstanden und gewürdigt wurden.

Amy Winehouse ist wieder in Berlin. Ihre grünen Augen: das rechte kleiner, das linke größer, sind entrückt und zugleich sehr präsent. Die leicht angehobene linke Braue und der Gesichtsausdruck weisen darauf hin, dass sie staunt. Ihre schwarzen, zum charakteristischen Beehive (Bienenkorb) toupierten Haare sind mit einer hellen Strähne durchsetzt und mit einer roten Stoffblume garniert. Ihr Busen ist prall und von der knapp angedeuteten roten Korsage kaum bedeckt. Sie trägt eine goldene Kette mit dem Davidstern, der auf ihrer rechten Brust liegt. Der rechte Oberarm ist nicht mit Tattoos, sondern mit einem Zitat bedeckt: »They tried to make me to Rehab but I said NO NO NO.« Der Song »Rehab« machte die britische Sängerin und Texterin auf Anhieb zum weltberühmten Star, doch sie scheiterte an ihrem Erfolg, den sie mit dem Leben bezahlte. Eine scheinbar starke und in Wirklichkeit verletzliche Frau: zu Lebzeiten gefeiert, ausgespäht und ausgebuht, nach dem frühen Tod verehrt, angehimmelt und millionenfach verkauft.

Charles Szymkowicz vor "Amy Winehouse". Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Charles Szymkowicz vor „Amy Winehouse“. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Verfemte Verwandte

Das großformatige Porträt von Amy Winehouse, mit dem das Publikum gleich nach dem Betreten der vor drei Jahren gegründeten Galleria Nove (auf Italienisch neun) konfrontiert wird, ist eines der stärksten Werke des belgischen Malers Charles Szymkowicz, die er in der Ausstellung »Maudits!« im rechten Flügel des ehemaligen Pfarrhauses in der Anna-Karsch-Straße 9 in Berlin-Mitte zeigt. Zu sehen sind dort gegenwärtig 50 Arbeiten des 1948 in Charleroi geborenen Künstlers, darunter mehr als die Hälfte Acrylbilder – sowie Aquarelle und Tuschezeichnungen, die eins gemein haben: Sie stellen Persönlichkeiten dar, die, oft verkannt, verspottet, verfolgt und missachtet, ihrer Zeit stets voraus waren und erst posthum richtig verstanden und gewürdigt wurden. Der belgische Neoexpressionist, Vertreter der Neuen Figuration, arbeitet konsequent an seinem persönlichen Pantheon der Geistesgrößen, die er auf Leinwand mit kräftigen, oft grellen Acrylfarben verewigt. Es ist seine persönliche Galerie der verwandten Seelen, der »Maudits«, wie auf Französisch Verfemte heißen. In der Galleria Nove präsentiert Charles Szymkowicz einen repräsentativen Ausschnitt aus seinem umfangreichen Oeuvre und lässt uns in die Gesichter blicken, welche die Geschichte der Moderne im 19. und 20. Jahrhundert prägten: Vincent van Gogh, Amadeo Modigliani, Edward Munch, Camille Claudel, Chaim Soutine, Egon Schiele, Frida Kahlo, Käthe Kollwitz, Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Lucian Freud, Andy Warhol, Charles Baudelaire, Guillaume Apollinaire, Paul Verlaine, Franz Kafka, Gustav Mahler; Marylin Monroe, Marlene Dietrich und der 1993 verstorbene französische Chansonnier, Komponist und Anarchist Léo Ferré, mit dem Szymkowicz eine tiefe Freundschaft verband. Die geistige Ahnengalerie, in der sich auch zahlreiche Selbstbildnisse des Künstlers aus Charleroi befinden, enthält ferner drei Konterfeis aus dem »27 Club«: neben Amy Winehouse, der, außer dem Porträt, auch eine zehnteilige Aquarellserie gewidmet ist, die von Jimi Hendrix und Jean-Michael Basquiat.

Charles Szymkowicz, Basquiate, Kahlo, Hendrix und Monroe. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Charles Szymkowicz, Basquiate, Kahlo, Hendrix und Monroe. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Parnass und Panoptikum

Der Begriff »Les Poètes maudits« stammt von Paul Verlaine, der 1884 in seinem so betitelten Buch die »Parnassiens«, eine Gruppe »verfemter Dichter« beschrieb, zu der u.a. er selbst, Arthur Rimbaud und Stéphane Mallarmé gehörten. Sie rebellierten gegen die Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft, Moral und Kultur – und haben »L´art pour l´art« zu ihrem Ziel erklärt. Charles Szymkowicz bemängelt, dass es heute keine »Kunst um der Kunst Willen« mehr gibt. Seine Aufmerksamkeit gilt deshalb jenen, die er für »Artistes Maudits« hält. Sie sollen die zeitgenössischen Künstler dazu bewegen, unangepasst und frei zu sein, und sie davon abhalten, sich dem Diktat des Marktes zu beugen. Mit breiten Pinseln, Spachteln und Farben, die er Impasto, also sehr dick auf die Leinwand aufträgt, bewirkt er, dass die Porträts keine zweidimensionalen Bilder, sondern Reliefs sind. Die Gesichtszüge muten wie Gebirgszüge an, stellen Sehgewohnheiten auf die Probe, wuchern in den Raum, sprengen den unabhängig von der Größe immer zu kleinen Rahmen. Der belgische Maler, Professor an den Kunstakademien in Charleroi und Brüssel, liebt die ausschweifende malerische Geste und benutzt bevorzugt Signalfarben, an die man sich erst gewöhnen muss: sehr viel Magenta, leuchtendes Grün und Gelb in Verbindung mit Rot, Orange, Lila, Hellblau, Schwarz und Weiß. Die Gesichtszüge der Persönlichkeiten, die er in seinem persönlichen Parnass nicht chronologisch anordnet, sind pathetisch und pastos, verzerrt und maskenhaft. Sie sehen wie Totems aus. Der Parnass von Szymkowicz ist eine Art Panoptikum, denn die von ihm abgebildeten Geistesgrößen wurden früher häufig als kuriose Einzelgänger und Einzelkämpfer behandelt.

Charles Szymkowicz, Baudelaire, Kafka, Beckmann und Freud. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Charles Szymkowicz, Baudelaire, Kafka, Beckmann und Freud. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Ein Tableau für die Toten

1989 schrieb Léo Ferré: »Szymkowicz packt euch bei den Augen und lässt euch nicht mehr los.« Tatsächlich prägen sich seine Bilder, für die er als Vorlage alte Fotos oder gar Werke seiner illustren Kollegen, zum Beispiel das 1985 von Lucian Freud gemalte »Reflexion (self portrait)« benutzt, tief ins Gedächtnis ein. Man merkt, dass der Künstler mit der Materie ringt, um seinen Emotionen die richtige Expression zu verleihen. Das ist sicher ein langer und erschöpfender Kampf, deshalb verdient die schier unglaubliche Produktivität des Meisters Charles aus Charleroi, der zwischen seiner Heimatstadt und Brüssel pendelt und drei Tage in der Woche Studenten in Zeichnen und Malerei unterrichtet, alle Achtung. Die meisten der in der Galleria Nove ausgestellten Werke fertigte er im vorigen Jahr. »Meine Arbeit ist nicht von der Verzweiflung inspiriert, es liegt darin auch der Wille, dynamisch und lebendig zu sein«, sagt der Künstler, dessen Eltern, polnische Juden, 1930 aus ihrer Geburtsstadt Krzepice in Schlesien auf der Suche nach einem besseren Leben und aus Angst vor Pogromen auswanderten und sich in Charleroi, dem Zentrum der wallonischen Stahl-und Bergbauindustrie, niederließen. Den Zweiten Weltkrieg überlebten sie dort in einem Versteck. Fast alle im besetzten Polen gebliebenen Verwandten wurden in deutschen Konzentrationslagern oder Ghettos ermordet. Die namenlosen Opfer der Shoah oder »gewöhnliche« Menschen wie seine Eltern und sein Bruder dürfen auch nicht vergessen werden. Ihnen widmet der Maler das beinahe eine ganze Wand füllende Gemälde »Mémoire d´hommages« (250 x 350 cm), sein Appell an die Nachgeborenen, die Erinnerung an die Toten wachzuhalten und ihre Würde zu respektieren. Das Bild, an dem er ein Jahr gearbeitet hat, enthält viele Elemente aus seinen früheren Werken: »Es ging mir schon lange durch den Kopf, so ein Tableau zu malen – und die Arbeit bereitete mir viel Freude.«

Melanie Battaglia vor dem Porträt von Lucian Freud. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Melanie Battaglia vor dem Porträt von Lucian Freud. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Künstler jeder Couleur

Charles Szymkowicz stellt in Berlin zum dritten Mal aus. 1987 zeigte er seine Arbeiten aus 25 Jahren im Rathaus Wedding. 2008 richteten ihm die belgische Botschaft, das Institut Français, das Tschechische Zentrum, die Galerie und Kunststiftung Poll sowie die Galerie Berliner Fernsehturm eine große Retrospektive an fünf Orten in Berlin aus. »Szymkowicz ist ein großartiger Künstler und ein ganz feiner Mensch«, sagt Melanie Battaglia, eine Berlinerin, die über 20 Jahre in Mailand lebte und seit Oktober 2011 als Managerin der von Marilena Graniti aus Siena geleiteten Galleria Nove in Berlin-Mitte tätig ist. »Seine Porträts sind immer auf Personen bezogen, die er mag und schätzt. Es sind Künstler jeder Couleur, die als verfemt bezeichnet werden, denn sie mussten extrem hart kämpfen: sowohl um ihre Kunst als auch um ihre Art zu leben. Diese stolze und unbeugsame Haltung transportiert der Maler in seinen kraftvollen und wuchtigen Bildern: Das Werk eines Künstlers, der seit Jahren konsequent arbeitet und sich treu geblieben ist.«

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 4 / Februar 2012


Charles Szymkowicz

»Maudits!«

21.01.-7.04.2012

Galleria Nove
Anna-Louisa-Karsch-Str. 9 / Garnisonkirchplatz
10178 Berlin
Di-Sa 11-18 Uhr

Eintritt frei

www.szymkowicz-charles.com >>>