Die Oper ist kein Museum
Die Oper ist kein Museum

Die Oper ist kein Museum

Dieses Motto hat sich nicht nur Tatjana Gürbaca auf das Panier geschrieben. Allenthalben trifft man in den Opernhäusern auf ehrgeizige Regisseure, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die musikalischen Dramen mit einem modernen Flair auszustatten. Entstaubung nennen sie diese Arbeit.

Von Manfred Wolff

Warum gerät die Kunstform der Oper überhaupt in den Verdacht, museal daher zu kommen? Ein Blick auf die Spielpläne der 81 Bühnen, auf denen in Deutschland Opern aufgeführt werden, erhärtet den Verdacht. Über 80 Prozent der Stücke, für die sich der Vorhang hebt, hatten ihre Uraufführungen zwischen 1700 und 1900. Mit Bellini und Donizetti, mit Bizet und Gluck, mit Humperdinck und Lortzing, Meyerbeer und Mozart, Puccini und Rossini, Verdi und Wagner fällt es den Intendanten leicht, ihre Häuser mit einem geneigten Publikum zu füllen, das bei den nur zu gut bekannten Melodien heimlich mitsingt und fachmännisch die aktuelle Inszenierung in den Pausen diskutieren kann.

In einem solchen Repertoire fällt dann Richard Strauss schon fast als modern auf, und Zeitgenossen sucht man in der Regel vergeblich. Mit Manfred Stahnke oder Aribert Reimann, Penderecki oder Liebermann, Hindemith oder Henze, Gottfried von Einem oder Werner Ekg und Boris Blacher verschreckt man doch eher das Publikum. Das beeinträchtigt dann den wirtschaftlichen Erfolg, von dem man kaum sprechen kann angesichts der Tatsache, dass für jeden Sitzplatz ein dreistelliger Bonus aus der Staatskasse spendiert wurde.

Wenn sich nun ein Regisseur an die Inszenierung der einhundertundsoundsovielten Aufführung einer Oper macht, steht er vor einem Dilemma. Entscheidet er sich für eine möglichst große Werktreue, wie das schon viele vor ihm taten, setzt er sich dem Vorwurf der Einfallslosigkeit oder gar des Plagiats aus. Greift er zu gänzlich Neuem, muss er damit rechnen, dass Kritik und Publikum ihm das verargen. Da Letzteres mit Kreativität etikettiert werden kann, entscheidet er sich dafür. Nun sind die Gestaltungsmöglichkeiten einer Oper durch Musik und Handlung erheblich eingeschränkt. Also bleibt nur das ganze Drumherum als Spielfeld der Kreativität: das Bühnenbild, die Kostüme, das schauspielerische Auftreten, um Modernität und gesellschaftliche Kritik zu demonstrieren.

Was konnte man da nicht schon alles sehen. Sarastro singt in der Badewanne, der Barbier von Sevilla nackt unter der Dusche. Rienzi befindet sich im Führerbunker und zuckt parkinsongetreu mit dem linken Arm, Hänsel und Gretel finden die Hexe in einem Wohnwagen mit niederländischem Kennzeichen, Wozzeck wird nach Norwegen ausgebürgert, Carmens Räuberfreunde handeln mit Nierentransplantaten, der Wiedertäufer hat natürlich einen deutschen Schäferhund (Tiere gehen immer!), die Admiralstochter Ines trägt ein Kieler Matrosenkleidchen und der portugiesische Generalstab trägt stolz die Uniform eines Oberleutnants zur See der Bundesmarine. Das ist doch alles ungeheuer modern und zeitkritisch.

Solche Scheinmodernität unterstreicht eher das Museale der Oper. Es stünde unseren vielen Opern doch eher an, Werke von Zeitgenossen auf die Bühne zu bringen. Ein landesweites Festival der Moderne entstünde, wenn jedes Theater alle ein oder zwei Jahre einen Komponisten beauftragte, eine Oper abzuliefern, die in Musik und Handlung Ausdruck der Gegenwart ist. Ein wahres Feuerwerk ungehörter Klänge entfaltete sich über der deutschen Opernszene. Nicht alles, was dann zu hören und zu sehen sein wird, taugt für die Ewigkeit, aber das war schon immer so: Die meisten der zigtausend Opern der Vergangenheit sind ja auch im Orkus der Vergessenheit versunken, aber sie waren in ihrer Entstehungszeit ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen und ästhetischen Diskurs ihrer Zeit und so auch eine Voraussetzung für die Meisterwerke, die es bis in unsere Zeit geschafft haben.

Die Oper darf kein Museum sein, in dem die Vergangenheit glorifiziert wird. Werkgetreue Inszenierungen verhelfen zur Selbstvergewisserung des Publikums. Die moderne Oper taugt zum Labor unserer individuellen, gesellschaftlichen und ästhetischen Zukunft. Diese Leistungen rechtfertigen die stattlichen staatlichen Subventionen für das Musiktheater.

Liebe Intendanten, öffnet die Türen für die junge moderne Oper!

Text © Manfred Wolff
Foto © Urszula Usakowska-Wolff