Grenzüberschreitungen, ungewöhnliche Sicht- und unkonventionelle Verhaltensweisen zeichneten ihr privates und künstlerisches Leben aus: Hannah Höch (1899 – 1978), die mehr als 65 Jahre in Berlin verbrachte und ein über 500 Arbeiten umfassendes Werk schuf, war eine Rebellin mit Bubikopf, scharfem Blick, Schere und Klebstoff.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Hannah Höch war die einzige Dada-Dame im Kreis der Dada-Dandys, die in Berlin unmittelbar vor dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Anfang der 1920er Jahre mit absurden Texten, Aktionen, Lesungen und Antikunst gegen die bürgerliche Gesellschaft aufbegehrten. Doch die kleine und zierliche Künstlerin, die vor allem auf dem Gebiet der Fotomontage und Collage Großes geleistet hatte, war nicht nur eine herausragende Dadaistin, sondern eine der bedeutendsten Vertreterinnen der klassischen Moderne. In der vierbändigen Publikation »Lebenscollage«, herausgegeben von der Berlinischen Galerie, in der sich das Hannah-Höch-Archiv und ein Großteil ihrer Werke befinden, kann man auf fast 2000 Seiten lesen, wie produktiv und innovativ sie war, obwohl sie häufig ums Überleben kämpfen musste, – und wie spät sie als eigenständige künstlerische Persönlichkeit anerkannt wurde. Als »Revolutionärin der Kunst« feierte sie die Kunsthalle Mannheim mit einer Retrospektive, die sich zum ersten Mal anhand von 140 Exponaten vorwiegend auf Hannah Höchs Werk nach 1945 konzentrierte. Diese Ausstellung wird gegenwärtig im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr gezeigt. 20 ihrer Arbeiten, darunter zwei Dada-Puppen und Collagen aus der Serie »Aus einem ethnographischen Museum« waren bis zum 7. November 2016 in der Gruppenschau »Dada Afrika« in der Berlinischen Galerie zu sehen.
Desaströser Dadasoph
Anna Therese Johanne Höch, die sich später Hannah Höch nannte, kam am 1. November 1889 im thüringischen Gotha als ältestes von fünf Kindern einer wohlhabenden bürgerlichen Familie zur Welt. Gegen den Willen ihres Vaters zog sie 1912 nach Berlin, wo sie ein Studium an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule begann. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte sie nach Gotha zurück, um beim Roten Kreuz zu arbeiten. 1915 wurde sie in die Klasse für Grafik und Buchkunst der Berliner Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums aufgenommen und besuchte nebenbei Abendkurse in Kalligrafie und Modellzeichnen. Damals lernte sie den Österreicher Raoul Hausmann kennen, mit dem sie sieben Jahre verbrachte. Sie gehörten zu den führenden Vertretern der Berliner Dada-Avantgarde, doch ihre amour fou endete als persönliches Desaster. Der verheiratete Dadasoph, wie er sich selbst bezeichnete, und Vater einer Tochter wollte, dass Hannah sich von ihrer Familie, vor allem von ihrem patriarchalischen Vater, trennt. Ihr Geliebter und Partner dachte jedoch nicht daran, sich für Hannah scheiden zu lassen. Die Beziehung zu Hausmann, während der sie zwei Abtreibungen vornahm, hinterließ bei der Künstlerin ein tiefes Trauma: Kindergesichter und Kindergestalten, häufig in embryonaler Form, sind ein häufiges Motiv ihrer Bilder.
Mutterseelenallein an der Wildbahn
Ein glückliches Liebesleben war Hannah Höch auch später nicht beschert. 1926 begann sie eine neue amour fou. Ihre Lebensgefährtin war die niederländische Schriftstellerin und Sprachlehrerin Til Brugman, mit der sie zehn turbulente Jahre in den Haag und Berlin erlebte. 1938 heiratete sie überraschend den 21 Jahre jüngeren Volkswirt Kurt Heinz Matthies, mit dem sie in einem Wohnwagen durch Deutschland und Europa reiste. Doch auch dieses Glück war nicht von langer Dauer, denn sie ließ sich 1944 von ihm scheiden. Im Dritten Reich wurde Hannah Höch als »Kulturbolschewistin« diffamiert und durfte nicht ausstellen. Im Herbst 1939 kaufte sie ein ehemaliges Flugwärterhäuschen an der Wildbahn 33 in Berlin-Heiligensee, wo sie zurückgezogen und „mutterseelen allein“, wie sie in ihrem Tagebuch schrieb, den Krieg überstand. Durch die Abgeschiedenheit ihres Domizils gelang es ihr, ihre Arbeiten sowie die Werke ihrer Freunde; die von den Nazis zu den führenden Vertretern der »Entarteten Kunst« erklärt wurden, zu retten. Um über die Runden zu kommen, verkaufte sie Blumen und Obst aus ihrem Garten, den sie nach dem Krieg zu einem blühenden Gesamtkunstwerk arrangierte. In ihrem »Knusperhäuschen« lebte sie fast 40 Jahre. Als sie am 31. Mai 1978 starb, wurde das Anwesen vom Bezirksamt Reinickendorf übernommen. Heute wohnt und arbeitet dort der Maler Johannes Bauersachs, der 2005 den Förderverein Künstlerhaus Hannah Höch e.V. gründete. In Reinickendorf gibt es darüber hinaus eine Hannah-Höch-Schule und ein Hannah-Höch-Denkmal, den »Archaischen Erzengel vom Heiligensee«, ein Werk des Bildhauers Siegfried Kühl, das er zum Gedenken an den 100. Geburtstag der Künstlerin schuf. Das Land Berlin verleiht seit 1996 jährlich den mit 60 000 Euro dotierten Hannah-Höch-Preis für ein hervorragendes künstlerisches Lebenswerk und seit 2011 alle zwei Jahre den mit 20 000 Euro dotierten Hannah Höch-Förderpreis. 2016 werden mit diesen Preisen Cornelia Schleime und Tatjana Doll ausgezeichnet.
Sezierte Klischees
Hanna Höchs Kunst ist mit der Zeit, in der sie lebte, eng verbunden. Bei der Fertigung ihrer Werke bediente sie sich der Massenmedien, die in der Weimarer Republik eine rasante Entwicklung erlebten. Von 1916 bis 1926 arbeitete sie als Designerin für die Handarbeitsredaktion des Ullstein-Verlags und entwarf dort Vorlagen für Spitzenmuster, Druckstoffe und Stickereien. Sie schrieb auch Texte für »Die Dame« und »Die praktische Berlinerin«, die zu den erfolgreichsten Ullstein-Zeitschriften gehörten. Sie war die erste deutsche Künstlerin, die mediale Bilder dekonstruierte und sie zu grotesken Traum- oder Albtraumwelten verarbeitete. Die tradierten Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten erschienen ihr suspekt, deshalb schuf sie viele Figuren, die sowohl über weibliche als auch über männliche Merkmale verfügen. Ihre ironische, groteske und surreale Kunst, in der sie die von den Medien und der Werbung vermittelten Klischees, Wunschbilder, Weiblichkeits- und Männlichkeitsmythen mit der Schere wie mit einem Skalpell sezierte, wirkt immer noch frisch, frech und furios.
Text © Urszula Usakowska-Wolff
Beitragsfoto: Dietmar Bührer, Hannah Höch, 1974. Quelle: wikipedia.de