Wer Belcanto liebt, kommt auf seine Kosten
Wer Belcanto liebt, kommt auf seine Kosten

Wer Belcanto liebt, kommt auf seine Kosten

Dass Giuseppe Verdis »Les Vêpres Sicilienne« kein Höhepunkt der laufenden Saison ist, muss man bedauern. Dabei ist der musikalische Aspekt durchaus als gelungen zu bewerten. Deshalb will ich auch nicht mit dem Lob zögern.

Enrique Mazzola kennt das Orchester der Deutschen Oper, und die Musiker kennen seinen Stil. So hat er es geschafft, in dieser Oper, die für die Grand Opera im Paris der 1850er Jahre komponiert wurde, den italienischen Ton zu bewahren und in gelungenen Spannungsbögen die Bühnenhandlung zu begleiten und die Sänger zu führen, ohne die Solisten im Orchesterklang untergehen zu lassen.

Der Chor sang und spielte seinen Part in der gewohnten Präzision. Gerade in den textlich schwierigen Passagen waren die Chorpartien von erfreulicher Klarheit.

Thomas Lehmann gab dem Grafen Montfort mit seinem starken Bariton, der auch noch bestimmenden Charakter zeigte, als er in der Unterhose unter dem Tisch sang, sowohl als der grausame Herrscher als auch als liebender Vater eine überzeugende Figur. Im Schlussapplaus wurde er besonders bedacht, was wohl eher der gebotenen Friedensstiftung und Familienfreude zu danken war.

Sein revolutionärer Gegenspieler Procida wurde von Roberto Tagliavini ohne übertriebene Leidenschaft gesungen. Das durch die Zeitumstände behinderte Liebespaar Herzogin Hélène und Henry, Sohn Montforts, vermochte es sowohl in den Duetten wie auch in den Solopartien zu überzeugen. Hulkar Sabirova, Koloratursopranistin, wusste sowohl den kämpferischen Aufrufen zum Widerstand wie auch den leisen Tönen der Klage die angemessene Farbe zu geben. Pietro Pretti als Henry steigerte sich im Laufe des Abends und fand seinen Höhepunkt im Vater-Sohn-Duett mit Thomas Lehmann.

Der musikalischen Seite dieses Abends gilt also ein uneingeschränktes Lob. Wer Belcanto liebt, kommt auf seine Kosten, und Verdis Ideenreichtum wurde dem Publikum von Musikern auf der Bühne und im Orchestergraben entfaltet.

Nun aber zur Inszenierung.

Wer eine Oper in Szene setzt, hat ein großes Problem, wenn er sich nicht dem Vorwurf eines Plagiats aussetzen will. Fast alle Opern der aktuellen Spielpläne sind schon x-mal gespielt worden und ebenso viele Inszenierungsvarianten hat es gegeben. Selbst die Verfechter der Werktreue haben zu dieser Vielfalt beigetragen. Verlässt der Regisseur den vorgegebenen Handlungsrahmen von Ort und Zeit, droht er schnell in Lächerlichkeit oder Peinlichkeit zu stürzen. Letzteres ist Olivier Py mit seiner Bearbeitung widerfahren.

Blick auf die Bühne unmittelbar vor der Premiere. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Blick auf die Bühne unmittelbar vor der Premiere. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Er hat die sizilianische Vesper nach Algerien verlegt und den algerischen Befreiungskrieg zum bildnerischen Thema gemacht. Der Kampf auf den Barrikaden in der Stadt Algier, das Zerren an den Stacheldrahtverhauen, die Vergewaltigungen tanzender Mädchen, die ein bisschen Schwanensee bieten (sollte das ein Witz sein?), die Erschießungen von Aufständischen, Soldaten, die mit dem Kopf eines Hingerichteten Fußball spielen – das alles sind realistische Zitate aus dem Kriegsgeschehen der 1950er Jahre. Aber als Handlungstapete vor den orchestralen Partien wird der Freiheitskampf von Py auf peinliche Weise missbraucht. So bleibt dem Zuschauer mit zeitgeschichtlichen Kenntnissen ein unangenehmer Geschmack von diesem Opernabend zurück.

Text © Manfred Wolff >>>

Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Weitere Vorstellungen: 26.03., 31.03., 03.04., 16.04., 19.04., 25.04
Deutsche Oper Berlin >>>