Absalon oder die Liebe zur Reduktion
Absalon oder die Liebe zur Reduktion

Absalon oder die Liebe zur Reduktion

Es ist weiß, wohin das Auge reicht: Weiße Wände, weiße Decken, weiße Neonröhren, lauter weiße Räume, in denen Behausungen und geometrische Figuren stehen, die außen und innen weiß sind. Dieses sterile Universum, das die gesamte Ausstellungsfläche – vier Hallen – der Berliner Kunst-Werke einnimmt, ist das Werk des am 26. Dezember 1964 in der Stadt Aschdod am Mittelmeer unweit von Tel Aviv geborenen Meir Eshel, der sich als Künstler seit 1987 Absalon nannte: Zu Ehren des Lieblingssohns König Davids Absalom, der gegen seinen Vater aufbegehrte, auf der Flucht vor dessen Soldaten mit seinem langen Haupthaar im Wald von Efraim in einer Baumkrone hängen blieb und erstochen wurde. Meir Eshel stand eine glänzende Militärkarriere bevor, auf die er jedoch verzichtete. Mit 21 Jahren beendete er seinen Militärdienst, baute sich eine Holzhütte am Strand südlich von Aschdod, in der er wie ein Eremit lebte, Werke von Nietzsche las und selbst gemachten Schmuck verkaufte, um sich ein One-Way-Ticket nach Paris anzusparen. 1987 konnte er sich seinen Traum erfüllen: Er flog in die französische Metropole, wo er von seinem Onkel Jacques Ohayon, mit dem er eine kleine Wohnung teilte, in die Pariser Kunstwelt eingeführt wurde. Einer seiner Mentoren und Helfer war der renommierte Künstler Christian Boltanski. 1992 nahm Absalon an der documenta IX in Kassel teil. Er starb am 10. Oktober 1994, kurz vor der Vollendung seines 29. Geburtstags.

Absalon: „Bruits“, Video, 1993. Kunst-Werke Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Absalon: „Bruits“, Video, 1993. Kunst-Werke Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Kajüten für Eremiten

Die Ausstellung „Absalon“ in den Berliner Kunst-Werken ist die erste umfangreiche Retrospektive des nach seinem frühen Tod etwas in Vergessenheit geratenen israelischen Künstlers. Es ist eine beeindruckende kuratorische Leistung Susanne Pfeffers und ihres Teams, dass es ihnen gelungen ist, in der Auguststraße 69 fast alles zu zeigen, was der Kunstrebell mit den ursprünglich langen Locken in seiner Pariser Zeit produzierte: Vor allem die sechs vier bis acht Quadratmeter großen, also recht kleinen „Cellules“: Wohnkapseln, in denen er mitten in Paris, Zürich, New York, Tel Aviv, Frankfurt am Main und Tokio leben wollte; ferner andere Architektur- und Möbelmodelle, Zeichnungen sowie sieben kurze Videofilme, die in einer Endlosschleife laufen und sich mit den ritualisierten Alltagshandlungen beschäftigen. Der mit 190 cm überdurchschnittlich große Mann mit einem Faible für die Farbe Weiß und autothematische Kunst war vom Gedanken angetrieben, Behausungen zu bauen, die mit dem Nötigsten ausgestattet sind: einem Bett, das zugleich als Sitz- und Stauraum dient, einem Tisch, einem Regal für maximal 15 Bücher, einer Kochnische, einer Toilette, die gleichzeitig als Klo und Dusche funktioniert, also temporäre Kajüten für Großstadteremiten, die sich mitten in einer Metropole in ihr Schneckenhäuschen zurückziehen können. „Die Häuser sind so gebaut, dass mich nichts stört. Es gibt kein Element, das mir ins Auge sticht“, sagte Absalon in einem Vortrag, den er Anfang März 1993 in der Pariser École Nationale Supérieure des Beaux-Arts hielt. „Alles ist geschlossen, ich bin im totalen Weiß. Diese Leere würde mir einen Raum geben, der (…) ein eher mentaler Raum wäre, der mir wichtiger erscheint als der physische Raum. (…) Es sind wirklich Konstruktionen, die mit meinem Leben verbunden sind, allein mit meinem eigenen Leben. Ich biete sie niemanden an, darin unterscheide ich mich übrigens von allen anderen Architekten, dass ich etwas Totales möchte, ohne totalitär zu sein.“ Absalon konnte sich ein Leben außerhalb der Stadt nicht vorstellen. Jede genau auf den Aufstellungsort und die Bedürfnisse des Künstlers zugeschnittene „Zelle“ war für ihn „ein bisschen wie ein Virus in der Stadt“, das die Vorstellungen von der urbanen „Kultur und ihren Standards“ unterwandern sollte.

Absalon: Propositions d’habitation, 1992. Kunst-Werke Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Absalon: Propositions d’habitation, 1992. Kunst-Werke Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Ikonoklast im Kunstpalast

In seinen Videofilmen geht Absalon der Frage nach, ob unser Tun der menschlichen Natur oder der Kultur immanent ist: Warum putzen die Menschen ihre Zähne, essen mit Messer und Gabel, halten sich den Kopf, wenn sie Kopfschmerzen haben? Tun sie das aus kulturellen Gründen oder weil es ihnen wirklich hilft? Und er zeigt, dass, wenn man die Leute davon überzeugt, ihre Ellbögen an einer Rolle zu scheuern, werden sie das verinnerlichen und ausführen, denn andere handeln genauso. Absalon kämpfe gegen künstlerische und gesellschaftliche Normen, gegen die verordnete Uniformität. Dabei verstand er sich nicht als Anarchist, sondern als Ikonoklast, der die genormte Kunst zerstören wollte, indem er für sich neue Normen erfand. „Meine Ambitionen sehen anders aus“, sagte er anderthalb Jahre vor seinem Tod. „Ich will nicht, dass es endet wie bei Rauschenberg im Museum Ludwig oder weiß ich was.“ Jetzt stehen seine für den städtischen Raum konzipierten „Zellen“ in den Berliner Kunst-Werken unter Dach. Besucher, die sie staunend betreten, sich auf die schmalen Betten setzen, aus den Fenstern gucken und sich dabei knipsen lassen, hinterlassen in der „weißen Leere“ Spuren ihrer schmutzigen Schuhe. Absalon, ein Einzelgänger, der die Kunstwelt benutzte, um sein eigenes Kunstverständnis durchzusetzen, ist nun zu einer von den Kunstmassen bewunderten Persönlichkeit, zu einem musealen Künstler aufgestiegen. Hätte er heute noch gelebt, wäre es ihm wahrscheinlich auch nicht anders ergangen.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Absalon
27.11- 06.03.2011
KW Institute for Contemporary Art Berlin >>>