Die Rache der Fledermaus an der Komischen Oper Berlin: Bravo fürs Qui pro quo!
Die Rache der Fledermaus an der Komischen Oper Berlin: Bravo fürs Qui pro quo!

Die Rache der Fledermaus an der Komischen Oper Berlin: Bravo fürs Qui pro quo!

Die am 5. April 1874 im Theater an der Wien uraufgeführte «Fledermaus» von Johann Strauss (Sohn). ist die wohl bekannteste, meist gespielte und geistreichste Operette der Welt, ein musikalisches und sprachliches Meisterwerk der goldenen Operetten-Ära, das immer noch Millionen begeistert, Champagnerlaune versprüht und deshalb zu Silvester und Karneval gern gespielt wird. Obwohl dem Libretto ein französisches Lustspiel zugrunde liegt, gilt diese Operette als Inbegriff des Wiener Schmäh. Das kommt vor allem in der Sprechrolle des Gefängniswächters Frosch zum Ausdruck, weil sie viel Platz für Improvisation und Anspielungen auf aktuelle Ereignisse bietet. Da die «Fledermaus» eine Satire ist, sind die Figuren überspitzt; sie bedienen brillant und amüsant Klischees über die feine und weniger feine Gesellschaft, die bürgerliche Ehe, die Doppelmoral und andere Probleme, die Weib, Wein und Gesang anrichten. Die Handlung der Operette dreht sich um ein Qui pro quo, das seinen Höhepunkt auf dem Kostümball erreicht. Am Ende fliegt die Maskerade auf, doch alles geht gut aus, denn «Champagner hat’s verschuldet, tralalalala».

Amüsieren, ohne zu brüskieren

Bei der Premiere von «Die Rache der Fledermaus» (wie diese Operette ursprünglich hieß) am 10. Februar an der Komischen Oper Berlin gab es wie üblich nur selbst spendierten Champagner in der Pausenbar, und nach der Pause waren die ersten Takte der berühmte Champagner-Arie als Klingelton zu hören. Die als «Taschenfromat» beworbene Neuinterpretation der Operette in der Inszenierung von Stefan Hubert, eine Produktion des Casinotheaters Winterthur, wo sie vor fünf Jahren uraufgeführt wurde, begeisterte das mehr als zahlreich erschienene Berliner Publikum fast von Anfang an und sorgte für viele überraschende Momente. Nachdem sich der rote Vorhang hob, war eine fast leere Bühne mit einer dunkelblauen Wand im Hintergrund zu sehen, vor der auf einem Podest eine fünfköpfige Combo saß. Kein Sinfonieorchester spielt im Orchestergraben, die Ouvertüre wird a capella gesungen, um zu erklären, worum es in dieser «Rache» eigentlich geht und was die Premierengäste in den nächsten 2 Stunden und 20 Minuten (die Pause nicht miteingerechnet) erwartet. Das Bühnenbild besteht aus einigen wenigen Sitzmöbeln, darunter Sessel, Stühle und Hocker. Nachdem die kleine Truppe, die aus sieben Schauspielern und drei Schauspielerinnen besteht, so richtig in Gang kommt, reißen sie fast alle vom Stuhl. Denn diese unglaublichen Bühnentalente können alles: chanconnieren, belcantieren, parlieren, gymnastizieren, changieren, charmieren, persiflieren, und die Schauspielerin Gabriela Ryffel sogar spagatieren. Kurzum – sie amüsieren sich und das Publikum prächtig, ohne es zu brüskieren. Und sie glänzen gesanglich auch als Chor.

Wodka fließt wie Wasser

Eine weitere Überraschung der Inszenierung von Stefan Hubert ist Rosalinde von Eisenstein, gespielt von Christoph Matti, dem der Regisseur eine Roben-Rolle auf den Leib geschnitten hat. Sehr gesittet, anständig und zugeknöpft wirkt die strenge Herrin mit Wespentaille in ihrem fast alles verhüllendem Alltagskleid im Stil der Belle Époque. Was für Leidenschaften in dieser auf den ersten Blick so unscheinbaren Person stecken, offenbart sich bei ihrem Auftritt auf dem Ball von Prinz Orlofsky. Dort taucht sie im richtigen Augenblick auf, gibt sich als ungarische Gräfin aus, und erinnert in ihrem glitzernden Kleid mit Pelzbesatz an die Hollywood-Diva Zsa Zsa Gabor. Die von ihr bravourös gesungene Csárdás-Arie «Klänge der Heimat» ist einer der Höhepunkte des Abends. Rosalinde bezirzt sogar ihren Gatten Gabriel (von Tobias Bonn gespielt), der vorgibt, ein Marquis zu sein, und in seiner glitzernden Weste entfernt an Liberace erinnert. Auch die Kostüme von Heike Seidler sind eine gelungene Mode-Mischung aus fernen und neueren Zeiten. Die Sopranistin Stephanie Dietrich in der Hosenrolle des Prinzen Orlofsky singt wie eine Soubrette, ist mal distanziert, mal herzlich, ml melancholisch-alkoholisch: wie die Russen halt so sind. Wodka fließt wie Wasser auch in die Kehlen von Ida (Nini Stadlmann) und ihrer Schwester, des Stubenmädchens Adele (Gabriela Ryffel), die beide vortäuschen, Künstlerinnen zu sein und am Ende «Mäzene» finden, die für gewisse Leistungen bereit sind, ihre Karriere zu fördern.

Mit Charme, Charisma und Humor

Was das kleine Dream-Team auf der großen, spärlich bestückten Bühne vollbringt, ist erstaunlich. Sie haben eine so starke Präsenz, dass man sich vor allem auf ihren Darbietungen konzentriert. Es gibt keine Nebenfiguren in diesem Verwechslungsspiel, alle stehen im Mittelpunkt des Geschehens und nehmen an der Intrige des rachsüchtigen Notars Dr. Falke (Max Gertsch) teil. Sie betrügen und werden betrogen, weil sie die angenehmen Seites des Lebens genießen wollen oder wie es im Couplet «Trinke Liebchen, trinke schnell» so schön heißt: «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!» Wahre Verwandlungskünstler sind Alen Hodzovic der in die Rollen des Sängers Alfred und des Schotten Murray schlüpft. Der musikalische Leiter der Berliner Aufführung spielt nicht nur mehrere Instrumente, sondern auch in der Rolle des Dieners Kai. Stefan Kurt tritt als Advokat Blind, als Ägypter Ali Bey und als Gefängniswärter Frosch auf. Er ist ein begnadeter Schauspieler, der die Menschen auf Anhieb zum Lachen bringt. Der von ihm gemimte bärtige Ali Bey, der, zwar mit arabischer Mütze und kurzem Kaftan bekleidet, den Verlockungen des Lebens nicht abgeneigt ist. Wenn er sich in einer Sprache, die wie arabisch klingt, an das Publikum wendet, ist das urkomisch, auch wenn man es nicht versteht. Er ist der Star dieses erfrischenden «Taschenformats» der Operette. Ihr Höhepunkt ist seine Performance als Sliwowitz-Liebhaber und Gefängniswärter Frosch. Stefan Kurt ist für diese Rolle wie geschaffen und er interpretiert sie so, wie es sein muss. Seine Monologe sind voller Anspielungen auf die aktuelle Lage, er trägt sie mit Charme, Charisma, Humor und in einem Trainingsanzug vor. Seine Kluft wird sicherlich auch bei echten gut Berlinern ankommen. Wie er spricht, wie er singt, wie er springt, wie er sich verlustiert und dabei mit Sesseln und Hockern und einem Campingstuhl hantiert und sich dabei über seinen Vorgesetzten, den sturztrunkenen Gefängnisdirektor Frank (Franz Frickel) mokiert: Das allein ist eines Besuchs dieser «Rache» mit einem unverkennbaren Berner Schmäh wert.

Nicht genug zu loben ist auch das Orchester, auch es im Taschenformat. In diesem Fall sind alle Guten fünf: neben Kai Tietje Falk Breitkreuz und das das Trio Zucchini Sistaz – drei tolle Musikerinnen in grünen Fracks. Diese Combo leistet Außergewöhnliches. Sie spielen darunter Banjo, Singende Säge und Ukulele. Der neue «Fledermaus»-Sound ist ein Mix aus Jazz, Blues, Rhythmen der Karibik, der 1920er Jahre und der Klezmer. Und höre da: Der Walzer im neuen Tongewand gelingt und klingt soooo frappant.

Text & Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Nächste Vorstellungen: 17. und 18. Februar, 19:30 Uhr, 19. Februar, 18 Uhr, 20. Februar, 19:30 Uhr, 3. März, 19:30 Uhr

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