Emil Cimiotti: »Das, was ich mache, ist ein selbstverständlicher Reflex auf das, was ich erlebe«
Emil Cimiotti: »Das, was ich mache, ist ein selbstverständlicher Reflex auf das, was ich erlebe«

Emil Cimiotti: »Das, was ich mache, ist ein selbstverständlicher Reflex auf das, was ich erlebe«

Die Entwicklung der abstrakten Bildhauerei von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart zeigt eine Ausstellung des Lebenswerks von Emil Cimiotti im Berliner Georg-Kolbe-Museum. Unter dem Motto »Denn was innen, das ist außen« entfaltet sich das bildhauerische Informell in ersten Bronzen bis hin zu seinen Papierarbeiten der letzten Jahre, in denen konstruktivistische und farbliche Elemente in den Vordergrund treten.

Von Manfred Wolff

Dass das Werk Cimiottis im Kunstbetrieb der Gegenwart eher in den Hintergrund getreten ist, liegt wohl vor allem daran, dass seine Arbeiten alle Unikate sind, die er im Wachsausschmelzverfahren schafft. Das verbietet unzählige Wiederholungen in Auflagengüssen, die den Kunstmarkt beleben. Aber auch sonst ist der Wachs prägend für seine Arbeit. Da er ja erst einmal als Tafel vorliegt, also eine Fläche bildet, formt Cimiotti dann daraus die räumlichen Elemente seiner Kunst. Sie umschließt Raum und greift gleichzeitig Raum. Das Ergebnis sind Plastiken von einer unübertrefflichen Leichtigkeit.

Emil Cimiotti, Baum, 1991, Bronze bemalt auf Stahl. Foto © Manfred Wolff
Emil Cimiotti, Baum, 1991, Bronze bemalt auf Stahl. Foto © Manfred Wolff

Fragile Formen

Mit dieser Leichtigkeit wollte schon der junge Cimiotti ein Zeichen setzen gegen den verlogenen Monumentalismus der Naziplastik. Deren Herrschaftsausdruck lehnte er ab, hatte er doch in seiner Kindheit und Jugend in Göttingen deren Druck erlebt. Was davor geschlossen und aufragend daher kam, erscheint nun bei Cimiotti in fragilen Formen. Die Werke sind gussrau und zeigen so eine Verletzlichkeit, die sich in ihre inneren Räume fortsetzt. Ihr Maßstab ist nicht mehr eine Phantasie des Beherrschens, sondern der Mensch in seiner Zerbrechlichkeit. Mit Cimiottis Worten: »Das, was ich mache, ist ein selbstverständlicher Reflex auf das, was ich erlebe. Das heißt, dass meine Plastiken auch existentiell zu begreifen sind. Denn meinen Plastiken ist ablesbar, dass die Existenz etwas Fragiles ist; auch meine Plastiken sind relativ fragil.«

Emil Cimiotti, Afrikanisch II (Gruß an Willi Baumeister, 2002, Bronze gussgrau auf Stahl. Foto © Manfred Wolff
Emil Cimiotti, Afrikanisch II (Gruß an Willi Baumeister, 2002, Bronze gussgrau auf Stahl. Foto © Manfred Wolff

Haut eines verborgenen Wesens

Auch als Zeichner hat Cimiotti ein umfangreiches Werk geschaffen. Wieder geht es ihm dabei um die Öffnung der Formen. Linien grenzen nicht ab. Die Spur des Stifts auf dem Papier lässt ahnen, wie sich hinter der Fläche ein atmender Raum entfaltet. Die Zeichnungen sind nicht wie sonst häufig bei Bildhauern Vorstufen, Studien zu einer Plastik. Sie sind parallel zum plastischen Schaffen entstanden und zeugen von derselben Leichtigkeit. Sie sind Haut eines verborgenen Wesens, das der Betrachter entdecken soll. In den späten Papierarbeiten verfährt Cimiotti mit den glatten und ebenen Papieren, die meist nur als Farbträger wahrgenommen werden, ähnlich wie mit dem Wachs. Er knüllt und quetscht, faltet und rollt, reißt und häuft das Papier und gibt ihm so eine neue Dimension der Wahrnehmung. Durch Farben gewinnt die Arbeit eine weitere Lebendigkeit.

Emili Cimiotti, Papierrelief aus der Reihe "Stufen", 2016/2017. Foto © Manfred Wolff
Emili Cimiotti, Papierrelief aus der Reihe „Stufen“, 2016/2017. Foto © Manfred Wolff

Bildhauer von Anfang an

Emil Cimiotti wurde 1927 in einer Arbeiterfamilie geboren, besuchte die Volksschule und die Handelsschule in Göttingen. Schon in seiner Schulzeit formte er aus Lehm und Ton kleine Figuren. Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft kehrte er 1945 nach Göttingen zurück und nahm dort eine Ausbildung zum Steinmetz auf: schon in der festen Absicht, sich der Bildhauerei zu verschreiben. 1949 begann er sein Studium an der Kunstakademie Stuttgart bei Otto Baum, der ihm schon nach den Pfingstferien nahelegte, die Hochschule wieder zu verlassen, da er dort nichts mehr lernen könne. Baum schlug Cimiotti aber für ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes vor. Da war er dann einer der drei ersten Kunststudenten. 1957 war der Kunstpreis Junger Westen der Durchbruch für Cimiotti. Wiederholte Einladungen zur documenta und zur Biennale in Venedig und in die Villa Massimo folgten. 1963 gehörte er zu den Mitbegründern der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, wo er auch als Lehrer wirkte. 1994 wurde Cimiotti in die Berliner Akademie der Künste gewählt.

Mit Emil Cimiotti begegnen wir einem der großen alten Männer der deutschen Kunstszene und stellen bewundernd fest, dass er noch immer jung geblieben ist.

Text & Fotos © Manfred Wolff
Titel & Zwischentitel: Urszula Usakowska-Wolff


Emil Cimiotti, Ausstellungsplakat, Georg-Kolbe-Museum, 2017. Foto © Manfred WolffEmil Cimiotti:
»Denn was innen, das ist außen«

Retrospektive
zum 90. Geburtstag.
19. 11. 2017 bis 28. 01. 2018

Georg-Kolbe-Museum
Sensburger Allee25
14055 Berlin

Öffnungszeiten:
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt 7 / 5 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre Eintritt frei


Emil Cimiotti, Katalog, Edition Braus, 2017